Klaus-Michael Vent, IT Freelancer mit Schwerpunkt Hostrechner, ist inzwischen Stammautor des IT Freelancer Magazins. Unter seinem Tag it-im-roman finden sich all seine (Hör-)Buchrezensionen, die er im Magazin veröffentlicht hat.
In naher Zukunft (oder ist das schon die Gegenwart?): Die junge Mae fängt bei einem äußerst angesagten Unternehmen an, das bereits 10.000 hoch qualifizierte und technikaffine Angestellte beschäftigt, Dem Circle, vergleichbar mit Firmen wie Microsoft, Google oder Facebook (oder zumindest dem, was man darüber in Computer – und anderen Zeitschriften so liest).
Auf dem weitläufigen Campus werden den Mitarbeitern allerlei Annehmlichkeiten geboten: Wellness, Hunde-Sitting, After-Work-Parties … Aber der Preis dafür ist hoch. Die erfolgreichen Jungdynamiker sehen sich Ausbeutung und Selbstausbeutung ausgesetzt; wer firmeninterne Feten versäumt, bekommt einen Anschiss bzw. verliert Beliebtheitspunkte (was in einem Unternehmen, das auf soziale Netzwerke setzt, fatal sein kann – „smile“/„frown“!). Alle Angestellten sind „gläsern“, alles ist allen Kollegen über sie bekannt, vom Gesundheitszustand über kleine Vergehen bis zur täglichen Bewältigung des Pensums.
Heißt das Motto des Circle: „Heute beherrsche ich 10.000, morgen die ganze Welt?“ Es scheint fast so, denn mit vorgeschobenen (?) Gutmenschenplänen will man weltweit Minikameras installieren, um z.B. Menschenrechtsverletzungen in Bild und Ton nachweisen zu können; Chips sollen in Kinder eingearbeitet werden, um diese vor Entführungen zu bewahren bzw. sie leicht wiederzufinden usw.
Schöne neue (Daten-)Welt, möchte man mit Aldous Huxley sagen. Obwohl mir das unterwürfige, arbeitsgeile und nach Anerkennung hechelnde Verhalten der Figuren manches Lächeln abrang und sich wie eine Satire auf das Arbeitsleben in (nicht nur amerikanischen!) Großkonzernen liest, hat doch die Wirklichkeit die Fiction längst eingeholt, wie NSA-Affäre und die allgegenwärtige Sucht nach Internet, Handy, Computerspielen usw. beweisen.
Am besten ist der Roman noch da, wo Mae mit ihrem Ex über ihre hoch technisierte und seine eher simple Arbeitswelt streitet und er sich fragt, ob sie ihn zu manchen Themen nicht direkt von Mensch zu Mensch selbst ansprechen sollte, anstatt im Internet oder sonst wo nachzuforschen, was vielleicht jemand über ihn und seine Firma gebloggt, gepostet oder getwittert hat.
Oder da, wo Mae in ihrem Anbiederungswahn an die Ziele der Firma an ihre Grenzen geht: Dank ihrer sprachgewandten Ausprägung dreier Sinnsprüche à la Orwells „1984“ gegen jegliches Private wird sie zur Botschafterin des Unternehmens und läuft den ganzen Tag mit einer Kamera um den Hals herum – sogar auf die Toilette, wo allerdings der Ton abgeschaltet wird, um die Zuschauer des ohnehin nicht allzu spannenden Treibens nicht auch noch durch etwaige Geräusche zu grämen. Fast wie heute, wo schon Facebook-Nutzer dem Fratzenbuch jeden Furz mitteilen, den sie gelassen haben…
Viel passiert bis auf das gelegentliche Auftreten eines rätselhaften Aussteigers bzw. Industriespions (?) nicht, der Roman ist in erster Linie interessant als Beschreibung einer Arbeitswelt, die wenig erstrebenswert scheint und in der wegen der Belastungen auch die noch so strebsamen „Helden“ nicht allzu lange durchhalten dürften. Science Fiction gibt es auch verhältnismäßig wenig, außer vielleicht, dass das Arbeiten über die Netzhaut des Auges die Google-Datenbrille ersetzt hat. Es ist ja auch verdammt schwer, spannende Ereignisse in einem Technik- bzw. Datenverarbeitungsunternehmen zu zeigen. Dan Brown hat dies im Hacker-Thriller „Diabolus“ versucht, wobei ihm aber einige Schnitzer unterliefen.
Der größte Schnitzer im „Circle“ scheint mir zu sein, dass Mae als studierte Psychologin doch die Manipulation, der sie unterliegt, durchschauen müsste. So wird sie mehr und mehr aber selbst ein Fall für die Psychologen- bzw. Psychiater-Couch.
Überhaupt gibt es – leider – keine sympathischen Figuren, die dem Leser zur Identifikation dienen könnten. Maes Weg, ihre „Karriere“ scheint klischeehaft vorgezeichnet. So bleibt eine Art bitteres Bild von den EDV-Nerds, die für das wirkliche Leben außerhalb eines Rechenzentrums nicht zu gebrauchen sind.
Und so neu ist das Ganze heutzutage auch nicht. Schließlich wissen die Zuschauer der Fernsehserie „Person of Interest“, dass irgendwo im Geheimen eine mächtige Maschine existiert, die die Inhalte aller anderen Computer kennt, auf alle Festnetztelefone, Handys, E-Mails, SMS, Kameras usw. usw. zugreifen kann und wahrscheinlich noch jeden eingetüteten Brief in der Sortierstelle der Post durchleuchtet, um auch dessen Inhalt zu erfahren, von den Textfeldern der Postkarten einmal ganz zu schweigen. Aber in diesen Folgen gibt es dank der menschlichen Partner dieser Maschine immerhin noch genügend Action …
Allerdings muss man Eggers zugutehalten, dass er unterhaltsam schreibt und einiges aus seinen „Zutaten“ macht. Zwar nicht der ganz große Wurf, aber man bleibt relativ gerne bei der Stange. Eine noch rigidere Kürzung hätte dem Hörbuch aber auch nicht geschadet.
Der Circle von Dave Eggers Hamburg 2014: Hörbuch Hamburg HHV GmbH; 8 CDs, ca. 600 Minuten, gekürzte Lesung von Torben Kessler eBook ISBN: 978-3-462-30820-4 Kiepenheuer & Witsch Gebunden 560 Seiten, ISBN: 978-3-462-04675-5

Über Dave Eggers

Autor von Circle Dave Eggers, geboren 1970 in Boston, ist einer der bedeutendsten zeitgenössischen Autoren. Sein Werk wurde mit zahlreichen literarischen Preisen ausgezeichnet. Sein Roman Ein Hologramm für den König war nominiert für den National Book Award, für Zeitoun wurden ihm u. a. der American Book Award und der Albatros-Preis der Günter-Grass-Stiftung verliehen. Weit Gegangen wurde in Frankreich mit dem Prix Médicis ausgezeichnet. Eggers ist Gründer und Herausgeber von McSweeney’s, einem unabhängigen Verlag mit Sitz in San Francisco. 2002 rief er ein gemeinnütziges Schreib- und Förderzentrum für Jugendliche ins Leben, 826 Valencia, das heute Ableger in mehreren amerikanischen Städten hat. Eggers stammt aus Chicago und lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Nordkalifornien.
Zuerst veröffentlicht im IT Job Magazin 3|2015 (Printausgabe)

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Klaus-Michael Vent plünderte schon als Schüler Leihbibliotheken auf der Suche nach Science Fiction Romanen und schrieb dann selbst welche, veröffentlichte in den 1970-er und 1980-er Jahren unter seinem Pseudonym Michael Sullivan Heftromane dieses Genres sowie auch Horror und Western in den Verlagen Pabel, Moewig und Kelter sowie zahlreiche Beiträge (Stories, Artikel, Buchkritiken) für kleine Fantasy-Magazine. In den 1990-er Jahren schrieb er als Programmierer von Börsen-Software Sachtexte zu IT-Themen, Börse, Unterhaltungselektronik und vieles mehr unter anderem für das jährlich erscheinende Lexikon der Gegenwart "Aktuell" (Harenberg-Verlag). Seit dem Jahrtausendwechsel, bei dem er erfolgreich das durch den Millennium-Bug erwartete Chaos verhinderte, legt er seine alten Romane neu bei Verlagen wie Emmerich Books&Media Konstanz und Atlantis Stolberg auf und fügt neue hinzu: http://www.emmerich-books-media.de/htm/9_de.html http://www.amazon.de/-/e/B007DCYM4I Einen Gesamtüberblick über sein literarisches Schaffen, zu dem ihm sein Hauptberuf als Freelancer immer noch ein wenig Zeit lässt, findet man zu seinem richtigen Namen und zu seinem Pseudonym unter http://www.chpr.at/sfs.html Kontakt gerne via Xing http://www.xing.com/profile/Michael_Vent oder Michael_Vent(AT)yahoo.de

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