Carlos, in deiner Funktion als Managing Director und Leiter der Hauptstadtrepräsentanz beim Arbeitsmarktdienstleister Hays und in deiner Rolle als Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands für selbständige Wissensarbeit e.V. bekommst Du so einiges rund um die IT-Freelancing-Branche mit. Berichte doch mal ein wenig: Wie steht es um die IT-Freelancer Politik? Was macht der Projektmarkt?

Projektmarkt: Verschärfung des Fachkräftemangels zu erwarten

„Der Arbeits- und Fachkräftemangel wird sich weiter verschärfen. Laut einer Erhebung des BITKOM fehlten Ende 2022 137.000 IT-Expertinnen und -Experten. Dieser Mangel bremst in einem nicht unerheblichen Maße die erfolgreiche digitale Transformation Deutschlands aus.

Diese Zahlen lassen sich nicht 1:1 auf den IT-Freelancer Markt übertragen, aber sie zeigen, dass es vorne und hinten an IT-Expertinnen und -Experten fehlt. Für die Freelancer können wir darauf schließen, dass trotz der schwierigen konjunkturellen Lage, durch multiple Krisen sowie dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine, davon auszugehen ist, dass die Nachfrage nicht signifikant einbrechen wird. Trotz kurzfristig gedämpfter Nachfrage befinden wir uns weiterhin auf einem sehr hohen Niveau. Es werden in Zukunft noch viele Digitalisierungsprojekte angeschoben und haben Priorität.

Obwohl auf regulatorischer Seite bereits einige Initiativen durch die multiplen Krisen on hold gesetzt wurden, gehen wir derzeit davon aus, dass das BMAS (Bundesministerium für Arbeit und Soziales) noch in dieser Legislatur einige arbeitsmarktpolitische Projekte umsetzten wird. In meiner Wahrnehmung liegen die entsprechenden Gesetzesentwürfe bereits in der Schublade von Bundesminister Heil. Es fehlt nur der richtige Zeitpunkt und Aufhänger, diese rauszuholen.

Daher sind wir auch nicht untätig, sondern vorbereitet. Unser Ziel ist es, in konstruktiver Weise in den Dialog zu gehen und unsere Sicht aus der Praxis einfließen zu lassen. Schließlich sind wir nachher diejenigen, die die Praxistauglichkeit bzw. -untauglichkeit am Ende spüren werden. Dies gilt nicht nur auf nationaler, sondern auch auf europäischer Ebene.“

Freelancer Politik 2023

Plattformregulierung: Eine europäische Herausforderung

Carlos, Du hast im Mai 2022 als einziger deutscher Arbeitsmarktexperte im Europäischen Parlament (Committee on Employment and Social Affairs) zum Thema Plattformarbeit gesprochen.

Dabei hast Du nochmals die Bedeutung der selbständigen Wissensarbeiter für die europäische Zukunftsfähigkeit betont, und in diesem Kontext die geplante europäische Regelung zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit kritisch analysiert. Konkret: Es geht um die Abgrenzungsfragen bei der Einstufung von Selbständigkeit und abhängiger Beschäftigung und um die Frage des Anwendungsbereiches der Regulierung.

Das Problem dabei ist jedoch, dass der Entwurf eine arbeitsrechtliche Gefahr (Vertragsfreiheit, Einstufung als Arbeitnehmer, Scheinselbständigkeit) für IT-Freelancer darstellt. Magst Du uns das Thema einmal darstellen?

Carlos Frischmuth vor dem Europäischen Parlament zum Thema Plattformarbeit, ab 14:54:46 min.

„Du hast den Kern bereits genannt. Die Richtlinie hat u.a. die Stoßrichtung, unfreiwillige Selbständigkeit zu verhindern. Dies wird auch aus den von der EU veröffentlichten Begleittexten zur Richtlinie deutlich. Es geht insbesondere darum, kritische Arbeitsmarktentwicklungen in Segmenten wie z.B. bei Taxi- und Lieferdiensten, bei selbständigen Haushaltstätigkeiten oder eben Kleinstaufgaben, sog. Micro Tasking, zu verhindern. Die Kritik der EU an der Plattformarbeit: Viele Beschäftigte werden um ihre Arbeitnehmerrechte gebracht, in dem sie formal als „Selbständige“ über Plattformen tätig werden. Hier befeuern Plattformen ein „preisliches und sozialbezogenes Down-Trading“. Die Sorge ist daher durchaus verständlich.“

Wie wurden deine Anregungen aufgenommen und was ist seitdem passiert? Denkst Du, auf EU-Ebene steuern wir hier in die richtige Richtung?

„Die Herausforderung besteht darin, den Plattformbegriff so zu definieren, dass nicht alle möglichen Dienstleistungen plötzlich hierunter fallen, die überhaupt nicht regulierungsbedürftig sind. Ein zweiter wesentlicher Punkt besteht darin, dass aktuell eine Abgrenzung zwischen Selbständigkeit und Arbeitnehmertätigkeit in der Diskussion steht, die aktuell noch sehr undifferenziert ist und an vielen Stellen mit etablierten nationalen Regelungen im Konflikt steht.

Weitere Punkte, wie eine in der Diskussion befindliche „Beweislastumkehr“, eine Art pauschale Vermutungsregelung, die Externe erstmal als festangestellte Beschäftigte klassifizieren würde, stehen ebenfalls im Widerspruch zur aktuellen nationalen Rechtsprechung und führen zu vielen verwaltungsrechtlichen Fragestellungen.

Kurzum: Es besteht die Gefahr, dass hier nationale Rechtssysteme mit dem Vorschlaghammer bearbeitet werden. Vor diesem Hintergrund stehen wir im intensiven Austausch mit verschiedenen Stakeholdern, bringen unsere Sicht aus der Praxis ein und versuchen, potentielle Auswirkungen von derartigen Regulierungen den politische Entscheidungsträgern zu vermitteln.“

Fachkräftesicherungsstrategie

Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) fehlten auf dem deutschen Arbeitsmarkt zwischen Juli 2021 und Juli 2022 ca. 537.923 Fachkräfte über alle Berufe hinweg.

Wie schätzt Du den Fachkräftemangel ein und was tut der Gesetzgeber dagegen?

Die Zahl der Erwerbstätigen wird in den nächsten Jahren stark zurückgehen, denn dann werden die Babyboomer in den Ruhestand gehen. Laut Statistischen Bundesamt werden in den nächsten 15 Jahren ca. 12,9 Millionen Erwerbstätige das Renteneintrittsalter überschritten haben. Das sind rund 30 Prozent der Erwerbstätigen im Jahr 2021. Ein Teil der 60 -64-jährigen befindet sich aktuell bereits auf dem Absprung in die Rente bzw. haben sich schon verabschiedet.

Dies macht deutlich, dass wir neben einem Fachkräftemangel zusätzlich auf einen sich zunehmend verschärften Arbeitskräftemangel zusteuern, denn die geburtenschwachen Nachfolgerjahrgänge können diese entstehende Lücke nicht schließen.

Die Bundesregierung hat mit ihrer im Oktober 2022 beschlossenen Fachkräftestrategie versucht eine Antwort zu geben. Die Strategie definiert dabei fünf zentrale Handlungsfelder. Dabei soll die duale Ausbildung gestärkt und eine Ausbildungsgarantie eingeführt werden. Ein weiterer zentraler Punkt, ist die bereits im Koalitionsvertrag genannte nationale Weiterbildungsstrategie. Zudem sollen z.B.  durch einen Anstieg der Frauenerwerbsarbeit, die inländischen Erwerbspotenziale mehr ausgeschöpft werden. Ein weiterer wichtiger Baustein ist der Zuzug qualifizierter Arbeitskräfte aus dem Ausland. Hier will die Bundesregierung zeitnah ein modernes Fachkräfteeinwanderungsgesetz vorlegen. Als letzter Punkt werden eine Verbesserung der Arbeitsqualität und eine mitarbeiterorientierte Arbeitskultur genannt.  Die Strategie wurde gemeinsam mit den Sozialpartnern aufgesetzt.

Diese Ansätze der Bundesregierung sind dabei auf einen längerfristigen Horizont angelegt. Doch in vielen Bereichen unserer Wirtschaft gibt es bereits akute Probleme, die Lösungen brauchen, die schneller umsetzbar sind. Daher ist wichtig, dass sich die Politik auch um Lösungen bemüht, die kurzfristig für Entspannung am Arbeitsmarkt sorgen.

Inwiefern beeinflusst dies den Projektmarkt für IT-Freelancer?

„Natürlich wirkt das Thema nur indirekt auf den Projektmarkt ein. Man kann aber sagen, dass die „große Allokationsfrage“ im Markt – also wie werden Know-how- und Kapazitätsengpässe von Organisationen auf Menschen gematcht – weiter sehr stark unter Druck bleibt. Wenn wir als schrumpfende Gesellschaft mit zu wenig Zuwanderung zunehmend weniger Expertenwissen und Kapazitäten im Markt zur Verfügung haben, erzeugt dass weiteren Druck auf die sogenannten Make or Buy Entscheidungen in Organisationen.

Also, was können Organisationen noch mit eigenem Personal bewältigen und welche Themen müssen in Projekten „externalisiert“ werden? Ich glaube, dass der Ruf nach Automatisierung damit noch größer wird, also alles was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert. Und zugleich wird alles was rechtskonform in Projekten mit externen Spezialisten begleitet, beraten und abgewickelt werden kann, gemacht. Dieser These folgend, werden wir in Deutschland ein Wachstum des Projektmarktes sehen. Gute Zeiten für Freelancer jeglicher Couleur, also nicht nur für IT-Expertinnen und -Experten. Zugleich wird sich der Projektmarkt aus meiner Sicht noch schneller drehen. Was meine ich damit?

Man müsste eigentlich seit Jahren davon ausgehen, dass im Zuge reiferer Projektplanungsmethoden nicht so viele kurzfristige Projektanfragen in den Markt kommen, also quasi eine geringere Dynamik an Projektanfragen entsteht. Aber wir sehen seit Jahren eine gegensätzliche Entwicklung. Vielleicht ist das im Wesentlichen dem höheren Anteil an agilen Projekten geschuldet, das mag auch gewiss der Fall sein. Ich glaube aber zudem, dass die limitierten Planungshorizonte, Komplexität und Abhängigkeiten von Technologien und natürlich die grundsätzliche Getriebenheit in den Unternehmen einen viel größeren Effekt darstellt. Kurz gesagt, die sogenannte „VUCA“ -Welt (Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity) zeigt volle Wirkung, liebe Freelancer, da kommt was auf Euch zu: sehr viel Arbeit!“

Altersvorsorgepflicht für Selbständige

Ein konkreter Gesetzesentwurf für eine Altersvorsorgepflicht für Freiberufler und Selbständige lässt weiterhin auf sich warten.

Kommt mit der Ampel die Altersvorsorge für Selbständige?

„Das ist quasi die Frage der Fragen. Es steht im Koalitionsvertrag und auf der Vorhabenplanung des BMAS. In Gesprächen wurde mir auch weiterhin bestätigt, dass es im Interesse der Bundesregierung ist, dass die Altersvorsorge für Selbständige klar geregelt wird. Natürlich gibt es unterschiedliche Sichtweisen auf das Thema. Eine FDP z.B. sieht die Vorsorgepflicht gänzlich anders als ihre Partner von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen. Letztere verfolgen, eine viel restriktivere Ausgestaltung.

Daher heißt es erstmal abwarten und weiterhin privat vorsorgen, so wie es bereits jetzt schon die überwiegende Mehrheit der IT-Freelancer macht. Dazu haben wir bereits 2018 eine Studie zur: „Einkommenssituation und Altersvorsorge“ gemeinsam mit dem Institut für Demographie Allensbach vorgelegt.  Darin geben 97 Prozent der Befragten an, für das Alter vorzusorgen. Ich gehe davon aus, dass auch 2023 diese wirklich beeindruckende Zahl sich nicht nennenswert verändert hat.

Fakt ist: Selbständige IT-Expertinnen und -Experten verfügen in der Regel über ein sehr gutes Einkommen. Selbständige Wissensarbeiter werden auch in Zukunft mehr denn je gebraucht. Was bedeutet, dass sich die Marktlage nicht signifikant ändern wird. Anstatt diesen Menschen weiter bürokratische Hürden und ausufernde Regulierung aufzubürden, sollten wir lieber mal darüber sprechen, wie wir Selbständigkeit in Deutschland fördern können. Daran arbeite ich mit meinem Team in der politischen Abteilung bei Hays und natürlich als Vorstand im Bundesverband für selbständige Wissensarbeit tagtäglich.“

Über Carlos Frischmuth:

Carlos Frischmuth (Managing Director Hays AG) ist verantwortlich für die Public Affairs Arbeit des Unternehmens. Im Bundesverband für selbständige Wissensarbeit e.V. (ehemals ADESW) ist er Gründungsmitglied und Vorstandsvorsitzender. Der Bundesverband für selbständige Wissensarbeit e.V. ist ein Zusammenschluss führender Dienstleister für den projektbezogenen Einsatz hochqualifizierter selbständiger Wissensarbeiterinnen und Wissensarbeiter sowie assoziierter Partner. Der Bundesverband setzt sich für mehr Auftrags- und Rechtssicherheit für selbständige Experten wie z.B. IT-Freelancer und deren Auftraggeber ein. Mehr über den Bundesverband finden Sie unter: www.selbständige-wissensarbeit.de

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Björn ist Marketier aus Leidenschaft. In seiner Funktion als Redakteur verfolgt er das Ziel einen klaren Mehrwert für die IT-Freelancer-Community zu schaffen und diese in ihrem stressigen Alltag bestmöglich mit hilfreichen und interessanten Inhalten zu unterstützen. Als freiberuflicher Digital Marketing Consultant unterstützt er außerdem IT-Freelancer dabei, mit ihrer digitalen Präsenz passende Projektanfragen zu erhalten. Er ist zentraler Ansprechpartner beim IT-Freelancer Magazin. Kontaktmöglichkeiten finden Sie über LinkedIn oder per E-Mail: bjoern.brand@it-freelancer-magazin.de

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