Dr. Andreas Lutz im Portrait
Dr. Andreas Lutz ist nun schon fünf Jahre Vorstandsvorsitzender im von ihm gegründeten VGSD e.V. – dem Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschlands mit inzwischen über 2.500 zahlenden Mitgliedern. Er ist Autor zahlreicher Fachbücher, wovon „Existenzgründung“ sein jüngstes Werk ist. Als promovierter Betriebswirt hat er u.a. bei Hubert Burda Medien und Immoscout24 gearbeitet. Näheres zu Dr. Andreas Lutz auf seinem Xing-Profil.
Michael Wowro: Hallo Andreas, unser letztes Interview liegt fast schon zwei Jahre zurück – damals ging es v.a. um den Dauerbrenner Scheinselbstständigkeit (zum Interview). Es freut mich, dass Du gerade in der spannenden Phase des Wahlkampfs die Zeit gefunden hast, für die IT Freelancer Community einige Fragen zu beantworten. Du hast Dich die vergangenen Wochen intensiv mit den Parteiprogrammen auseinandergesetzt. Was sind für Dich die größten Überraschungen dabei gewesen?
Andreas Lutz:
Wir haben als VGSD insgesamt neun sogenannte Wahllprüfsteine, also Fragen, die uns Selbstständige am meisten beschäftigen, an alle Parteien geschickt, die wahrscheinlich in den kommenden Bundestag einziehen werden. Sechs dieser Wahlprüfsteine wurden mit Hilfe von unserem Partner exali.de verfilmt (hier zum Beispiel zum Thema Scheinselbständigkeit). Überrascht hat mich bei den Antworten am meisten, dass im Grunde alle Parteien für eine Absenkung des Mindestbeitrags zur gesetzlichen Krankenkasse sind. Nur die CDU/CSU war bei diesem Thema zurückhaltend. Zwar sei sie sich dieser Problematik bewusst, plant aber eine Lösung erst im Rahmen des sog. Masterplans Selbstständigkeit, der voraussichtlich Ende 2019 fertiggestellt sein wird. Mit einem Gesetzesentwurf dürfte dann erst 2020 zu rechnen sein, ein entsprechendes Gesetz träte dann frühestens 2021 in Kraft. Dies ist einer der Gründe für unsere aktuelle Petition, um hier Druck auf die Politik aufzubauen, eine baldige Lösung dieses Problems zu finden.
Michael Wowro: Gerade habt Ihr diese vielbeachtete Petition zur im Vergleich zu Angestellten faireren Gestaltung der gesetzlichen Krankenkassenbeiträge gestartet, die Ihr den Vertretern des 19. Deutschen Bundestages nach dessen Konstitution überreichen möchtet. Worum geht es dabei genau und inwiefern sind die (i.d.R. gutverdienenden) IT Freelancer davon betroffen?
Andreas Lutz:
Die Petition wendet sich im Kern gegen zwei Benachteiligungen von Selbständigen gegenüber Angestellten: den höheren Mindestbeitrag und die breitere Bemessungsgrundlage.
Höherer Mindestbeitrag: Hauptberuflich Selbstständige werden nicht einkommensabhängig beitragsbemessen, sondern ihnen wird ein fiktives Einkommen von ca. 2.200€ unterstellt – egal ob sie dies tatsächlich verdienen oder nicht. Das trifft beispielsweise Eltern, die vorübergehend z.B. nur 1.000€/Monat verdienen können, weil sie nur 1-2 Stunden/Tag arbeiten können. Statt wie bei Angestellten dann die 14% Krankenkassenbeiträge nur von den 1.000€ zu berechnen, werden diese pauschal von den fiktiven 2.200€ berechnet. Das kann dazu führen, dass bis zu 43% des Einkommens nur für Pflege- und Krankenversicherung zu bezahlen sind. Dies entspricht in etwa dem deutschen Spitzensteuersatz – trifft in diesem Fall jedoch Geringverdiener.
Breitere Bemessungsgrundlage: Die Bemessungsgrundlage bei Selbständigen ist wesentlich breiter als bei Angestellten. Dies kommt zum einen daher, dass z.B. Mieteinnahmen und Kapitalerträge zum krankenversicherungspflichtigen Einkommen des Selbständigen mit hineinzählen, beim Angestellten jedoch nicht. Außerdem zahlt ein Angestellter die Krankenversicherung nur für das Arbeitnehmerbrutto und der Selbständige für den Gewinn (was ja dem höheren Arbeitgeberbrutto entspricht).
Am Ende führt das dazu, dass Selbständige bis zu 20% mehr zahlen müssen für Ihre Krankenversicherung als Angestellte – bei gleicher Versicherungsleistung. Darüber hinaus führt das dann dazu, dass gerade bei kleinen und mittleren Einkommen das Geld für die Altersvorsorge fehlt. Alle Parteien planen für die nächste Legislaturperiode, dass Selbstständige in irgendeiner Form zur Altersvorsorge gezwungen werden. Eine Entlastung bei den Krankenkassenbeiträgen für Selbständige durch eine Angleichung an die Verhältnisse bei Angestellten kann hier zu einer Entspannung und Versachlichung der Debatte führen.
Michael Wowro: Wie die Analyse des IT Freelancer Magazins zeigt, geht die CDU in ihrem Wahlprogramm mit keinem Wort auf das Thema Scheinselbstständigkeit ein. Hast Du eine Idee, warum es in der Partei, die den Wahlprognosen zufolge die größte Fraktion im Bundestag stellen wird, kein Bewusstsein für dieses Thema gibt?
Andreas Lutz:
Bei unseren Wahlprüfsteinen „musste“ die CDU ja auf dieses Thema antworten, da wir sie direkt dazu befragt haben. Grundsätzlich muss man festhalten, dass die CDU mit ihrem Koalitionspartner SPD sehr darum ringen musste, dass das Anfang April in Kraft getretene Gesetz zur Neuregelung der Arbeitnehmerüberlassung nicht noch negativer für die IT Freelancer in Deutschland ausgefallen wäre. Ursprünglich war durch das SPD-geführte Arbeitsministerium die Einführung eines Katalogs von Negativkriterien für Selbständige geplant, mit welcher eine Selbständigkeit im Bereich der IT kaum noch möglich gewesen wäre. In den Wahlprüfsteinen verteidigte die CDU dennoch die Gesetzesänderung, weil sie diese ja auch gemeinsam mit ihrem Koalitionspartner SPD beschlossen hatte. Ich schätze, dass die CDU generell eher zurückhaltend beim Thema Scheinselbstständigkeit kommuniziert, weil ja auch eine Große Koalition nicht unwahrscheinlich ist und man das Thema Scheinselbständigkeit nicht nochmal mit der SPD angehen möchte. Die SPD (und ebenfalls die Linke) haben sich in ihrem Wahlprogramm ja explizit für eine weitere Verschärfung der Regeln zur Scheinselbständigkeit ausgesprochen. Etwas anderes wäre für die CDU eine Koalition mit FDP (und Grünen) – da würde das im April in Kraft getretene Gesetz sicherlich nochmal geändert werden. Bei der FDP stehen beispielsweise die von IT Freelancern geforderten Positivkriterien bei der Feststellung der Selbstständigkeit explizit im Wahlprogramm.
Michael Wowro: Der VGSD hat gerade sein 5-Jähriges gefeiert. Wie hast Du es eigentlich geschafft, in so kurzer Zeit einen so großen Verband aufzubauen mit über 2.000 Mitgliedern? Was ist der Schlüssel zu diesem Erfolg gewesen und wirst Du dazu irgendwann einen Ratgeber schreiben?
Andreas Lutz:
Einen Ratgeber werde ich erstmal nicht schreiben – dazu hätte ich im Moment auch gar keine Zeit. Ich analysiere jedoch sehr wohl, welches unsere Erfolgsfaktoren sind und wende sie für den VGSD dann weiter an.
Ein Erfolgsfaktor, der zu inzwischen über 2.600 Mitglieder geführt hat, ist, dass wir gleich zur Verbandsgründung per Uservoice eine Befragung gemacht haben: Was sind die Hauptanliegen unserer Mitglieder? Und daraus ergab sich ein sehr klares Ranking: an Punkt 1 steht für unsere Mitglieder das Thema Krankenversicherung und an Punkt 2 steht das Thema Rentenversicherungspflicht. Relevant ist aber auch das Thema Scheinselbständigkeit. Und all diese Punkte arbeiten wir nacheinander ab und das teilweise sehr erfolgreich. So wie beim Thema Werkvertragsänderung Anfang dieses Jahres, wo wir in Kooperation mit anderen Verbänden das drohende Ungemach für Selbständige abwenden konnten.
Ein weiterer Erfolgsfaktor: Wir machen jede Woche eine kostenlose Expertentelko (A.d.Red: Experten-Telefonkonferenz), bei welchen Mitglieder oder andere Experten zu relevanten Themen vor 100 bis 400 Zuhörern Vorträge halten. Z.B. haben wir eine Expertentelko mit führenden Anwälten zum Thema Scheinselbstständigkeit gemacht. Dann machen wir auch immer wieder Expertentelkos zum Thema Selbstvermarktung für Selbständige, konkret: Wie erwerbe ich einen Expertenstatus in meinem Fachbereich – hierbei bietet ja auch der Wettbewerb zum IT Freelancer des Jahres 2017 eine sehr gute Gelegenheit.
Michael Wowro: Du hast ihn angesprochen, bis zum 30. September noch läuft der Wettbewerb zum IT-Freelancer des Jahres 2017 bei welchem der VGSD Kooperationspartner ist. An alle Zuschauer nochmal der Aufruf: Bewerbt Euch jetzt – Ihr könnt nur gewinnen! Dir Andreas, vielen Dank für dieses Interview und Euch vielen Dank fürs Zuschauen. Wenn Euch das Interview gefallen hat, hinterlasst bitte ein Like.
Andreas Lutz: Vielen Dank und bis zum nächsten Mal.
Das Interview führte Michael Wowro, Herausgeber des IT-Freelancer-Magazins.
Die Analyse der Parteiprogramme auf Google Art vom IT Freelancer Magazin findet Ihr hier.
Die schriftliche Zusammenfassung dieses Video-Interviews nochmal als .pdf zum Download
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