Im Moment befindet sich die deutsche Wirtschaft in den entscheidenden Statistiken zu ihrer Innovationskraft und Stärke eher auf dem absteigenden Ast. Studien zeigen nun: Mit besseren Rahmenbedingungen für selbstständige Wissensarbeiter könnte sich das Blatt wenden. Ein politisches Umdenken ist gefordert.

Faktencheck: Die hinkende deutsche Wirtschaft

Neues Jahr, neue Regierung, neues Glück? Der Vorstoß, dass auch gut abgesicherte freiberufliche Wissensarbeiter Beitragszahlungen in die gesetzliche Rentenkasse leisten sollen, bleibt bislang bestehen. Das führt nach wie vor an vielen Stellen zu Unmut. Diese Pflicht sowie die vermehrte Angst vor Scheinselbstständigkeit bringt viele Freelancer dazu, in die Festanstellung zu wechseln. Für die deutsche Wirtschaft ist das ein Problem, wie die neue Studie des Bundesverbands für Selbstständige Wissensarbeit bestätigt. Denn mit einer höheren Zahl Selbstständiger im Bereich (H)TM-KIS (High Technology Manufacturing and Knowledge-Intensive Services) geht, relativ zur Erwerbstätigkeit, im Mittel auch ein höheres Wirtschaftswachstum einher.
Dabei braucht die deutsche Wirtschaft dringend eine Kehrtwende: Einst in den Top-drei-Nationen mit den meisten Weltklassepatenten in führenden Technologien hat sich der Anteil dieser Patente laut Bertelsmann-Stiftung zwischen 2010 und 2019 mehr als halbiert. Auch in der renommierten Bloomberg-Studie der sechzig innovativsten Volkswirtschaften rutscht Deutschland innerhalb eines Jahres 2021 von Platz eins auf vier.
Als eine Ursache wird häufig der gemächliche Digitalisierungsfortschritt der Bundesrepublik benannt. Angestoßen durch die Corona-Pandemie haben viele Firmen beachtliche Summen in die digitale Transformation gesteckt. Die EU-Kommission stellt Deutschland zudem 59,1 Millionen Euro zur Verfügung, um dringend notwendige Investitionen in die Digitalisierung und Infrastruktur auf den Weg zu bringen. Das Problem: gerade kommunale Aufgabenbereiche und Institutionen werden in zentralistisch statt föderalistisch organisierten Ländern sehr viel effizienter digitalisiert. Ein Grund dafür, warum die digitale Transformation in Deutschland trotzdem nicht recht an Fahrt aufnimmt.

Startups werden nach wie vor ausgebremst

Innovative Startups, die mit neuen Technologien und Produkten die Digitalisierung voranbringen und die Wirtschaft ankurbeln könnten, stehen zusätzlich vor großen Hürden. Zwar unterschrieb Deutschland mit fast allen anderen EU-Mitgliedsländern vergangenen März eine Absichtserklärung, dass die Startup-Gründung an einem einzigen Tag unter 100 Euro möglich sein soll. Getan hat sich hierbei allerdings nicht viel: Eine Unternehmensgründung kostet hierzulande noch immer über 2.500 Euro – und zieht sich meist über mehrere Monate hin. Wohl auch deshalb ist Deutschland mit 6,23 Milliarden Euro Investitionsvolumen in Startups pro Jahr im internationalen Vergleich weit abgeschlagen, was ein Blick auf die Zahlen eindrucksvoll belegt: In den USA werden 428 Millionen Dollar pro Tag investiert. Zwar haben die USA vier Mal so viele Einwohner wie Deutschland, doch dieses Budget ist dennoch 22-mal höher.
Trotz dieser beeindruckenden Investitionssumme fällt die USA in der Bloomberg-Studie der innovativsten Volkswirtschaften auf Platz elf zurück. Einer der Gründe: Die Trump-Regierung erschwerte hochbegabten, ausländischen Studierenden die Ausbildung an den weltbekannten Top-Universitäten. Dies zeigt, dass alles Geld nichts bringt, wenn Staaten keine Anreize schaffen und gleichzeitig Hürden abbauen, um gut ausgebildeten Wissensarbeiter und innovative Köpfe ins eigene Land zu holen.

Geld allein reicht nicht aus

Hierzulande wird die digitale Transformation von einem entscheidenden Faktor ausgebremst: dem massiven MINT-Fachkräftemangel. Hochrechnungen zeigen, dass Deutschland in acht Jahren rund 2 Millionen MINT-Spezialisten fehlen werden. Lösungsinitiativen wie hochwertige Umschulungsprogramme, um den Anteil der Fachkräfte mit Hochschulreife zu erhöhen, sucht man in Deutschland bislang vergeblich.
Statt auf den Nachwuchs zu hoffen, rekrutieren viele nun Fachkräfte aus dem Ausland. Doch auch das ist längst kein Selbstläufer. Zum einen hat Qualität „Made in Germany“ längst nicht mehr die Strahlkraft vergangener Zeiten. Viele Unternehmen setzen nach wie vor auf langlebige Produkte, die aber in spätestens zehn Jahren technologisch veraltet sind. In der heutigen, schnelllebigen Zeit braucht es sofort verfügbare Lösungen, die für 99 Prozent des Marktes passen und dem Zeitgeist entsprechen. Zum anderen erhalten Knowledge-Migranten in anderen Ländern deutlich mehr staatlich geregelte Benefits wie Steuererleichterungen und sind mit weniger bürokratischen Hürden konfrontiert. Ein Umzug nach Deutschland steht so auf der Wunschliste junger Fachkräfte nicht gerade an erster Stelle.

Selbstständige MINT-Spezialisten als Boost für die Wirtschaft

Um den Fachkräftemangel zumindest abzumildern, müssen zudem hoch-spezialisierte Freiberufler weiterhin flexibel einsetzbar sein. Von Data-Scientists über IT-Security-Experten bis hin zu Softwareentwicklern: Gerade IT-Freelancer werden branchenübergreifend händeringend gesucht, doch ihre Anzahl wächst seit zwei Jahren nicht mehr. Zu groß ist bei vielen die Angst vor Scheinselbstständigkeit und zu unattraktiv ist das Freelancer-Dasein mit seinem Rentenversicherungszwang. Bereits jetzt kommen auf 100 Beschäftigte in Deutschland nur vier selbstständige Knowledge-Worker, während Belgien, Italien oder Südkorea laut Studie des Bundesverbands für selbstständige Wissensarbeit bei knapp 10 liegen. Zwischen 1996 und 2018 erhöhte sich der Anteil hochspezialisierter TM-KIS Selbstständigen in Deutschland von 3,5 Prozent um 0,6 Prozentpunkte auf 4,1 Prozent. Um jedoch mit dem Südkorea des Jahres 2018 mithalten zu können, wäre ausgehend von der aktuellen Datenlage ein Zuwachs von 134 Prozent (5,5 Prozentpunkte) nötig – das entspricht dem Siebenfachen des realisierten Zuwachses der vergangenen zwei Jahrzehnte. Die Studie weist jedoch darauf hin, dass schon ein geringer Anstieg von selbstständigen MINT-Spezialisten das Wirtschaftswachstum positiv beeinflussen würde.

Fest im Griff des Fachkräftemangels

Die Zahlen und Fakten zeigen deutlich: Es geht nicht darum, wieviel der deutsche Staat in die Treiber der digitalen Transformation investiert, sondern, dass er Möglichkeiten zum freien Wirtschaften in Deutschland gewährt. Wir von SThree fordern daher, massiv Bürokratie abzubauen, die Zuwanderung ausländischer Fachkräfte zu erleichtern und es vor allem IT-Fachkräften zu ermöglichen, den Schritt in die Selbstständigkeit zu gehen. All das würde nicht nur den Fachkräftemangel mildern, sondern auch den Wirtschaftsstandort Deutschland für die Zukunft stärken.

Hier gehts zur Studie: „Die Bedeutung solo-selbständiger Wissensarbeit für den Innovationsstandort Deutschland“ 

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Nach seinem Abschluss in Business Administration an der Arnhem Business School begann Timo Lehne 2006 seine Karriere bei SThree als Sales Consultant. In seinen ersten Jahren im Unternehmen war er verantwortlich für den Ausbau des IT-Sektors und die Einführung weiterer Spezialisierungen, wie z.B. dem Ingenieurssektor und dem Pharmazeutischen Bereich. 2009 wechselte Lehne als Senior Manager nach Düsseldorf um dort die Niederlassung aufzubauen. Seit Juni 2014 ist Lehne Geschäftsführer der SThree GmbH und seit 2017 Managing Director der DACH-Region mit über 800 Mitarbeitern. Neben den Bereichen Festanstellung, Projektanstellung und Arbeitnehmerüberlassung in der DACH-Region gehörte auch die strategische und operative Führung des Unternehmens zu seiner Verantwortung. Im Januar 2022 übernahm Timo Lehne die weltweite Führung des Unternehmens als Interim CEO. In seiner Verantwortung liegt nun das Umsetzen der Unternehmensstrategie und das Erreichen der unternehmerischen Ziele.

2 Kommentare

  1. Kai Bräutigam on

    Mich würde interessieren, was SThree konkret gegen das Schreckgespenst der Scheinselbstständigkeit tut und auch (im eigenen Interesse) die Belange von selbstständigen ITlern unterstützt. Das ist leider im Artikel nicht beschrieben worden.

  2. Ich behaupte, dass IT-Freelance immer noch Beschäftigung auf selbstständiger Basis ist und keine selbstständig marktwirtschaftlich ausgerichtete IT-Dienstleistung. Dafür müsste z.B. die Anzahl remote ausführbarer IT-Dienstleistungen steigen.

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