Der Verband für Gründer & Selbstständige Deutschland (VGSD) hat während der Corona-Krise über 27.000 Selbstständige zu den Themen Auswirkungen der Krise und staatliche (Sofort-) Hilfen befragt. An der Befragung nahmen auch ca. 1.900 IT Freelancer teil („IT-, Software-, Web-Dienstleistung“).
Branko Trebsche ist Koordinator beim VGSD und begann seine heutige Karriere im operativen Customer Care. Dort ist jede eingesparte Sekunde bares Geld wert. Dies gelingt nur, wenn eine hohe Prozesstreue erreicht werden kann und die Lösung Akzeptanz bei den betroffenen Mitarbeitern findet. Dieser Ansatz führte ihn in das Prozessmanagement und in die IT. Heute digitalisiert er komplette Wertschöpfungsketten als Berater und Projektmanager ad interim. Dabei nutzt er für die Umsetzung die volle Bandbreite aktueller Technologien, wie z.B. RPA (Robot Process Automation), Big Data, KI, Microservices und viele mehr.
Herr Trebsche hat in den letzten Monaten ein Team aus ehrenamtlichen „Länderpaten“ koordiniert, welches die Soforthilfevergabe der Bundesländer beobachtet und den Erfahrungsaustausch der Mitglieder untereinander und in Richtung Bundesländer koordiniert hat.
IT Freelancer im VGSD
IT Freelancer Magazin: Wie viele Mitglieder hat der VGSD aktuell und wie viele davon sind IT-Freelancer?
Branko Trebsche: Der VGSD hat rund 5.400 feste Mitglieder und ca. 16600 Unterstützer in der Community, etwa jede/r vierte unserer Mitglieder arbeitet im Bereich IT-, Software- und Web-Dienstleistung. Damit sind wir zugleich auch der größte Verband von IT-Selbstständigen in Deutschland.
Kernbotschaften des VGSD an die Politik
IT Freelancer Magazin: Der VGSD ist die größte Interessenvertretung für Gründer und Selbstständige in Deutschland und natürlich auch eines der wichtigsten Sprachrohre für IT Freelancer. Was sind die Kernbotschaften des VGSD an die Politik?
Branko Trebsche: Zurzeit steht die Bewältigung der Corona-Krise im Vordergrund. Ziel ist, dass möglichst viele Selbstständige nach der Krise wieder aufstehen und ihre Tätigkeit weiterführen können. Was für Angestellte als richtig erkannt wurde, sollte auch für Selbstständige gelten. Dazu haben wir gestern die Bundestagspetition für die Verlängerung und rechtssichere Ausgestaltung von Soforthilfen für Selbstständige gestartet.
Weitere Informationen haben wir auf unserer Website zusammengestellt. Bitte macht mit und teilt die Petition in euren Netzwerken. Wir müssen zeigen, dass wir Solo-Selbstständige, Kleinunternehmer und Freiberufler in der Lage sind uns zu organisieren. Die schon vor Corona angedachten Regelungen zur Altersvorsorgepflicht, die jetzt verstärkt vorangetrieben werden sollen, schaffen ein mächtiges Bürokratiemonster, dass uns unser Leben lang quälen wird.
Was mich als Ergebnis unserer Umfrage sehr überrascht hat, ist aber auch, wie viele Teilnehmer sich durch die Rechtsunsicherheit beim Thema Scheinselbstständigkeit eingeschränkt sehen. Das war auch schon vor Corona ein Problem. Über alle Branchen hinweg beschäftigt 45% aller Solo-Selbstständigen und Kleinstunternehmer dieses Thema. Die Politik insgesamt, insbesondere aber Hubertus Heil, muss endlich aufhören, Menschen mit gut funktionierenden Geschäftsmodellen in die häufig schlechter bezahlte abhängige Beschäftigung oder in die Zeitarbeit zu drängen. Und natürlich wird das wichtige Thema Scheinselbstständigkeit ebenfalls im Punkt Bürokratievereinfachung in der Petition aufgegriffen.
Daneben braucht es eine Überarbeitung des Steuerrechts mit Vereinfachungen und Stärkung der Altersvorsorge, sowie ein pfändungsfreies Altersvorsorgekonto. Bei der Kranken- und Arbeitslosenversicherung muss die Schlechterbehandlung von Selbstständigen endlich aufhören. Digitale Behördengänge, eine bessere (Breitband-)Infrastruktur, insbesondere auf dem Land, sind weitere Themen, die uns wichtig sind, damit jeder dort arbeiten kann, wo er oder sie gerne leben möchte.
Staatliche Soforthilfen in den einzelnen Bundesländern
IT Freelancer Magazin: Herr Trebsche, durch die Koordination der „Länderpaten“ und den Austausch mit den Ländern waren Sie am Thema staatliche Soforthilfen für Freelancer in den letzten Monaten besonders nah dran. Was waren Ihre Erfahrungen in dieser Zeit zur Soforthilfe-Vergabe der Länder an die Selbstständigen?
Branko Trebsche: Den zuständigen Mitarbeitern in den vielen Behörden und Organisationen, die die Soforthilfeanträge bearbeitet haben, möchte ich an dieser Stelle für ihren wirklich engagierten und unermüdlichen Einsatz danken. Ein großes Problem ist, dass die einzelnen Bundesländer die Vorgaben des Bundes sehr unterschiedlich interpretiert haben. So haben sich in einigen Bundesländern, die Vergabekriterien im Nachhinein geändert und es ist eine große Unsicherheit entstanden. Mittlerweile wollen viele Selbstständige die erhaltenen Hilfen wieder zurückzahlen oder haben es schon getan. Die Soforthilfe selbst war vielen Solo-Selbstständigen und Kleinunternehmen am Ende keine Hilfe, weil viele von uns von zu Hause arbeiten und damit oft nur geringe monatliche Kosten anfallen.
Viele Solo-Selbstständige und Kleinunternehmer sind insofern hart getroffen, weil sie aus ihren monatlichen Gewinnen ihre laufenden Lebenshaltungskosten bestreiten. Hierfür gab und gibt es bisher keinen Ausgleich. Vor diesem Hintergrund sind die Regelungen zum „vereinfachten“ Zugang zum ALG2 absolut unzureichend. Die Vermögensfreibeträge sind viel zu niedrig, es werden auch in der Corona-Krise beispielsweise Steuerrückzahlungen als Einnahme verrechnet und die Regelungen zur Bedarfsgemeinschaft gelten ebenfalls weiterhin uneingeschränkt. Hier muss die Politik nachbessern und pragmatische Lösungen umsetzen, damit wirklich Hilfe ankommen kann.
Erste Ergebnisse der VGSD Studie
IT Freelancer Magazin: In den letzten Wochen haben Sie und Ihre Kollegen die Ergebnisse der VGSD Umfrage zu den Themen Auswirkungen der Corona-Krise auf Freelancer und staatliche Soforthilfen ausgewertet. Können Sie unseren Lesern vielleicht schon einen Ausblick auf die wichtigsten Aussagen der Umfrage gewähren?
Branko Trebsche: Mehr als 27.000 Solo-Selbstständige und Kleinstunternehmen haben teilgenommen! Damit ist es die mit Abstand größte Studie zu den Auswirkungen von Corona auf Selbstständige. Wir werden in Kürze mit der Veröffentlichung von Auswertungen und Berichten unter anderem auf unserer Website beginnen. Die Zahlen zeigen, dass die IT-Selbstständigen noch vergleichsweise glimpflich davonkommen. Dennoch sind die Zahlen dramatisch. Jeder Siebte erwartet, dass sie/er wegen der Corona-Krise sein/ihr Geschäft in den nächsten 12 Monaten aufgeben muss. Jeder Vierte hat einen Umsatzrückgang von 75% und mehr zu verkraften. Jeder Fünfte hat die dreimonatige Soforthilfe beantragt, ebenso viele rechnen aber mit einer Durststrecke von mehr als 6 Monaten.
Selbstständige unterschiedlich hart von der Krise betroffen
IT Freelancer Magazin: Damit sind die Mitglieder des VGSD also unterschiedlich intensiv von der Krise betroffen? Inwiefern beeinflusst es die Strategie des VGSD, dass manche Mitglieder eher mehr Involvierung des Staates fordern (Nothilfen) und andere wiederum weniger Einmischung bevorzugen würden (z.B. beim Thema Altersvorsorgezwang)?
Branko Trebsche: Es gibt Branchen, die von der Krise sehr hart betroffen sind. In Gastronomie, Event- und Veranstaltungsbranche, Touristik, Sport und Freizeit rechnen 40 bis 50% damit, ihre Selbstständigkeit in den nächsten 12 Monaten aufzugeben. Dementsprechend müssen die Hilfen und Maßnahmen je nach der Betroffenheit gezielt erfolgen. Auch in diesen Branchen haben die meisten Selbstständigen gut für ihr Alter vorgesorgt und Rücklagen für konjunkturelle Einbrüche gebildet. Wenn ihnen nun aber zum Schutz der Gesundheit aller, die berufliche Tätigkeit verboten wird, so dass sie teilweise ein ganzes Jahr keine Einnahmen mehr haben, dann dürfen sie vom Staat mit diesem Schaden nicht alleine gelassen werden.
Das Infektionsschutzgesetz hat in vergleichbaren Fällen eine Entschädigung von zunächst 100 %, später dann 60 % des Honorarausfalls und den vollständigen Ersatz der weiterlaufenden Kosten vorgesehen. Wenn das ausgehebelt wird und der Betroffene den Schaden aus der Altersvorsorge bezahlen soll, dann ist das Unrecht. Wir spüren bei unseren Mitgliedern ein hohes Maß an Solidarität für diese Branchen.
Und natürlich sorgen Unternehmer für das Alter und Krankheit vor. Ich erwarte von der Politik, dass Unternehmer in Zukunft besser unterstützt werden! Die Altersvorsorgepflicht und die Regelungen zur Scheinselbstständigkeit sind allerdings kontra-produktiv. Sie verhindern unternehmerischen Erfolg und untergraben damit jedwede Bemühung geeignete Vorsorgestrategien erfolgreich umzusetzen.
Größte Learnings des VGSD in der Corona-Krise
IT Freelancer Magazin: Alle Organisationen wurden in der Corona-Krise, vor allem was Remote Working betrifft, gewissermaßen einer Zwangsdigitalisierung unterzogen. Was waren IT-technisch die größten Learnings des VGSD in der Corona-Zeit?
Branko Trebsche: Es geht sehr viel digital, wenn alle nur wollen! Wir haben als Verband von Anfang an auf digitale Organisationsformen gesetzt. Durch die Verbreitung von Videokonferenzen können wir online nun noch mehr Menschen erreichen. So haben sich beispielsweise in den ersten fünf Monaten mehr als 16.500 Selbstständige für unsere Experten-Telkos angemeldet. Gleichzeitig entwickeln wir aktuell selbst neue Angebote und Formate, um noch attraktiver und schlagkräftiger zu werden.
Es gibt aber auch zahlreiche Geschäftsmodelle, die sich nicht vollständig digitalisieren lassen, wie zum Beispiel der Friseur-, Restaurant- oder Clubbesuch.
Wichtige IT Freelancer Skills für die Zukunft
IT Freelancer Magazin: Welche Skills werden künftig bei IT-Freelancern stärker gefragt sein? Worin lohnt es sich Ihrer Meinung nach, sich als IT-Freelancer- auch während der krisenbedingten Auszeiten- weiterzubilden?
Branko Trebsche: Aus meiner Sicht zeigt die Krise, dass wir uns als IT-Freelancer ausnahmsweise mal nicht mit klassischen IT-Themen, wie Programmiersprachen, Architektur, Big Data oder künstlicher Intelligenz beschäftigen sollten. Meine Empfehlung ist die Auseinandersetzung mit dem Thema Change Management. Viele Mitarbeiter unserer Kunden haben sich lange gegen Veränderungen durch IT und Digitalisierung gewehrt. Plötzlich gibt es eine hohe Veränderungs- und Anpassungsbereitschaft in den Belegschaften. Wir müssen uns überlegen, wie wir diese Veränderungsbereitschaft aufrechterhalten, damit wir bei der Einführung neuer Produkte und Technologien insgesamt agiler und noch erfolgreicher werden.
IT Freelancer Magazin: Besten Dank für das Interview Herr Trebsche!