Die Nemensis Kolumne- Einblicke in eine aufstrebende IT-Freelancer Agentur Part 2
Profilschubser werden IT-Freelancer-Agenturen bei manchem Bierchen geschimpft und immer wieder findet sich Agenturbashing in diversen XING-Foren. Dass IT-Freelancer-Agenturen überwiegend professionell agieren, warum die Recruiter manchmal trotzdem gestresst wirken und was IT-Freelancer konkret tun können, um ihre Projektchancen signifikant zu erhöhen, will das IT Freelancer Magazin mit dieser Kolumne ausleuchten. Es tut dies gemeinsam mit dem Start-up nemensis, bei dem mehrere Ex-Gulpis eine Freelancer-Agentur gegründet haben und einiges anders machen wollen.
Vertrieb
Beim Personalvermittlungs-Startup Nemesis arbeiten 3 Vertriebler und 2 Recruiter, was einen deutlichen Vertriebsschwerpunkt bedeutet. Bei allen Anbietern, egal ob groß oder klein, ist der Vertriebsteil größer, auch weil die Akquise manchmal Jahre dauert, bis man eine wertige Anfrage bekommt. Was sich jedoch unterscheidet: bei den kleinen Agenturen sind die Rollen zwischen Recruiter und Vertriebler nicht so starr festgelegt, wie bei einer großen Agentur und der eine Bereich hilft beim anderen flexibel aus. „Wenn ich keine Kapazitäten habe, macht mein Vertriebskollege auch das Recruiting mit, so dass wir insgesamt sehr schnell umschalten und häufig schon nach wenigen Stunden liefern, sprich passende und verfügbare Freelancer beim Endkunden anbieten können.“ so Jens Eberling, der bis vor kurzem einzige Recruiter bei nemensis, der dem IT-Freelancer Magazin für diese Kolumne Rede und Antwort steht. Langjährige Kundenbindung fehlen natürlich bei den Davids – die Goliaths hingegen haben über viele Jahre hinweg wertvolle Aufbauarbeit geleistet. Vertrauensaufbau ist aufwändig, weil der eigene Unternehmensname/die Marke noch unbekannt ist und es den ein oder anderen Freelancer möglicherweise abschreckt, gerade wenn er das gleiche Projekt bei einem renommierteren Dienstleister angeboten bekommt.
Arbeitsalltag
Der Arbeitstag in einer kleinen Personalagentur unterscheidet sich, jeder a die Schwerpunkte sind einfach andere. In großen Agenturen hingegen herrscht nur wenig Abwechslung: die Prozesse sind weitgehend standardisiert und erlauben kaum Handlungs- und Entscheidungsfreiheit. Bei kleinen Agenturen ist es tatsächlich ein sehr individueller Job, mit intensiver Tuchfühlung zum Freelancer bzw. zum Projekt. Es geht sehr emotional zu: große Freude, wenn man endlich einen Freelancer vermittelt hat und großes Leid, wenn man kurz davorstand und es im letzten Moment doch nicht zur Vermittlung kam. In alle Richtungen ist permanent immer alles möglich. Jens Eberling hat seinen Job bei GULP gekündigt, obwohl er mit diesem eigentlich gar nicht unzufrieden war. Es reizte ihn einfach, dass er bei nemensis etwas von der Pike auf aufbauen kann und das Unternehmen ein Stück weit prägen darf. Er könne Einfluss auf alles nehmen, um so einen Dienstleister der Zukunft aufzubauen.
Als kleine Agentur kann man viel ausprobieren. So hat nemensis einmal pro Woche Strategiezeit und jeder kommt zu Wort. In diesem Meeting können superschnell Dinge entscheiden und dann ausprobiert werden. Diese Dynamik führe am Ende zu einer besseren Dienstleistung, so Eberling. Auch steigere dies die Motivation der Mitarbeiter und die Lust aufs Arbeiten, weil jeder sich mit Ideen einbringen kann, keine stumpfsinnigen Vorgaben einhalten muss und Verbesserungsvorschläge tatsächlich auch angenommen werden.
Preisstrategie
„Als Startup sind wir im Preis günstiger als die großen Agenturen, weil wir wachsen wollen.“ so Eberling. Neben strategischen Gründen, die zu niedrigen Preisen führen, können die kleinen auch einfach günstiger sein. Die Großen haben Managementgehälter, Gebäude und eine Geschäftswagenflotte, die über die Freelancer-Projekte mitfinanziert werden müssen.
Organisation
Flache Hierarchien und superschlanke Prozesse herrschen bei den Kleinen vor. Die Großen machen sich viel Aufwand mit KPIs (Leistungskennzahlen) – Jens Eberling hat diesbezüglich auch schon mitbekommen, dass „wenn’s nicht anders geht“, also ein Vertriebler beispielsweise anders nicht auf seine Soll-Telefonminuten kommt, er bei irgendwelchen Hotlines anruft. Nemensis als kleiner Personaldienstleister versuche da doch stärker ergebnisorientiert zu arbeiten.
Erfahrung
Natürlich ist bei kleinen Agenturen im Schnitt die Erfahrung geringer, bei nemensis ist das jedoch nicht der Fall, weil dort fünf Ex-Gulpis (also ehemalige Mitarbeiter von GULP) arbeiten.
Konditionen für Mitarbeiter
Bei nemensis arbeiten alle flexibel, größtenteils remote. Beim Gehalt und sonstigen Konditionen für den Mitarbeiter eines Personaldienstleisters dürfte es keinen großen Unterschied zwischen großen und kleinen Agenturen geben, abgesehen von Jobtickets o.ä. Themen, wo die Kleinen natürlich die kritische Belegschaftsgröße nicht aufbringen können. Kleine können weitergehend keine definierten Karrieren anbieten – für den das persönlich wichtig ist, sollte eher zu einer großen Agentur gehen. Für kleinere Agenturen greift natürlich auch der Kündigungsschutz erst ab 10 Mitarbeitern (siehe hier). Bei nemensis gilt das jedoch nicht, weil sie zu IK Hofmann gehören – ein Konzern mit über 10.000 Mitarbeitern.
Ausstattung
Bei der Ausstattung können die Großen sich ganz andere „Kaliber an Hightech“ leisten. Kleinere Agenturen können sich keine großen Fehlschläge z.B. im Sinne von unpassend ausgewählter Software leisten. Dennoch hat nemensis eine sehr moderne, zeitgemäße und zukunftsorientierte Ausstattung, die insbesondere auf praktisches, schnelles Arbeiten ausgelegt ist. Bei nemensis steht die IT-Abteilung der Konzernmutter I.K. Hofmann für Notfälle bereit, aber andere Startups haben diesbezüglich nur wenig Support.
Insider-Tipp vom Profi
Wer nah am potenziellen Projektort wohnt, sollte dies unbedingt beim Anschreiben an den Recruiter herausstellen. Nicht selten wurden/werden selbst in Corona-Zeiten, wo ja Homeoffice selbst von der Bundesregierung in einem gewissen Maße geboten wurde, Freelancer abgelehnt, weil sie zu weit vom Projektort entfernt wohnen. Die Endkunden sind ja in der Regel Angestellte und können sich eben nicht die absolute Reisebereitschaft eines IT-Freelancers vorstellen. Sie fürchten, dass Freelancer irgendwann abspringen, weil ihnen das ständige Reisen irgendwann zu lästig wird. Manchmal mag es sogar nur das etwas irrationale Gefühl sein, dass man den Freelancer in seiner Nähe wissen möchte. Wer in der Nähe des potenziellen Projektortes wohnt, sollte im Stundensatz entsprechend runtergehen, weil ihm ja die nicht unerheblichen Reisekosten erspart bleiben. Auch das sollte er im Anschreiben an den Recruiter herausstellen – schließlich ist der Preis immer noch einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren, wenn es darum geht, ein Projekt zu bekommen.
Zum ersten Teil der Kolumne: Speed Matters- Warum Tempo bei der Auftragsakquise entscheidend ist
Die Inhalte dieses Artikels stammen von Jens Eberling, Nemensis aus einem Interview Anfang 2021 mit dem IT Freelancer Magazin
4 Kommentare
Zitat: „Profilschubser werden IT-Freelancer-Agenturen bei manchem Bierchen geschimpft und immer wieder findet sich Agenturbashing in diversen XING-Foren.“ Was soll diese Formulierung? Für mich ist das ein Indiz dafür, dass der Artikel offensichtlich nicht objektiv dieses Thema angeht. Viele Recruiter erwecken leider den Eindruck, sie seien Profilsammler. ihr Auftreten ist wenig professionell. Somit ist diese Meinung vieler Freelancer-Kollegen gar nicht so falsch.
Viel schlimmer ist: Die meisten Mitarbeiter von Recruiteragenturen, bis auf wenige Ausnahmen, haben nicht wirklich Ahnung von den Themen, die von Freelancern in Projekten erledigt werden. Es geht nicht darum, dass sie keine Fachkenntnisse haben. Das müssen sie auch nicht! Sie wissen schlicht und einfach nicht, welche Freelancer es im Markt gibt und welche Leute für die geforderten Aufgaben die Richtigen sind. Bspw. gibt es Kunden, die die eierlegende Wollmilchsau suchen (also einen Berater, der sich in allen Gebieten umfassend auskennt, Schulungen halten kann, Teilprojekte führen soll, neue Geschäftsfelder finden und evaluieren soll und auch noch programmieren können muss) und der Recruiter gibt diese Suchkriterien einfach nur ungefiltert an den Markt weiter, anstatt den Kunden zu beraten und ihm aufzuzeigen, dass es diese „Wunsch-Freelancer“ nicht gibt und wie man diese Anforderugen anders erfüllen kann.
Des Weiteren werden Honorarwünsche des Kunden unreflektiert an den Freelancer durchgereicht, nicht ohne vorher noch einen Abschlag vom Stundensatz zu sichern, denn man muss ja auch leben. Der eigene Anteil wird aber nicht transparent gemacht (auch nur bis auf sehr wenige Ausnahmen). Open-Book-Politik gleich Fehlanzeige!
So entstehen auch mal Stundensätze für Senior-Berater von 62 Euro remote und 78 Euro für vor Ort Einsätze inkl. aller Spesen. Ein Mechatroniker berechnet schon über 80 Euro je Stunde an Arbeitsentgelt bei Reparaturen am Auto.
Mit Verlaub: Der Insider-Tipp vom Profi entbehrt nicht einer gewissen Komik. Die meisten Recruiter wollen schon eine Preisangabe, ehe der Projektinhalt oder -ort dem Freelancer bekannt sind. Und dann wird auch schon der Preis gedrückt. Erst dann kommt oft raus, um was es eigentlich geht und wo es stattfinden soll. Lieber Autor: Die Wirklichkeit sieht leider anders aus.
Hallo Herr Bräutigam,
Sie sind schon viele Jahre ein kritischer Begleiter des IT Freelancer Magazins. Hierfür und für diesen ausführlich Kommentar wieder unseren herzlichen Dank!
Ich kann Ihrer Argumentation folgen und mindestens, was die eingeforderte Transparenz angeht, bin ich Ihrer Meinung. Die Personaldienstleister sollten der Open-Book-Politik folgen und zwar der beidseitigen, also gegenüber dem IT Freelancer und dem Endkunden! Ich kenne aktuell zwei Personaldienstleister, die etengo aus Mannheim und Constaff aus Heidelberg, die Open-Book leben – dieses Modell muss Schule machen!
Herzliche Grüße,
Michael Wowro
P.S. Ich bin gespannt, wann einer unserer Artikel inhaltlich Ihre volle Zustimmung gewinnt 🙂
Im letzten Satz steht ja auch genau, worum es bei diesem Geschäft geht, um den Preis und nicht um Qualität oder Erfahrung oder Fähigkeiten oder Qualifikation.
Die Kommunikation der Agenturen ist auch total im Keller in Richtung des Beraters. Es gibt keine regelmäßigen Updates und man darf froh sein, überhaupt eine Absage zu erhalten – „wir melden uns, sobald sich der Kunde meldet“…und wenn der Kunde sich nicht meldet – umgekehrt wird man als unflexibelt oder schlecht kommunizierend tituliert, wenn man auf einmal nach 3 Wochen nicht zum Interview bereitsteht.
Im letzten Satz des Artikels steht exakt genau, was den Markt treibt – nicht die Qualität, nicht die Ortsnähe, nicht die Fähigkeit oder Empathie im Projektteam – sondern, der PREIS.
Das zweiter Problem dieser Gemengelage ist, dass man nie weiß, was sich der „Vermittler“ nimmt für die Tätigkeit.
Leider ist es auch so, dass die Kommunikation mit dem Berater, der im übrigen dem Recruiter das Geld bringt und nicht der Kunde, so schlecht geworden ist, dass man sich als Freelancer fragen muss, warum der Recriuter eigentlich bis zu 35% (Krongaard) an Provision von der Leistung des Beraters „klaut“. Man bekommt weder einen regelmäßigen Stautreport über die Bewerbung, noch eine Absage. Wenn der Kunde sich nicht meldet, melden wir uns auch nicht, lautet ie lapidare Ansage. Ist der Berater in dieser Position und ist auf einmal für ein Interview nicht mehr verfügbar, wird dem Berater Unprofesionalität oder Unflexibilität oder schlechte Kommunikation vorgeworfen.
Seit Corona gibt es auch keine „Werbeutensilien“ mehr auch jetzt zum Jahreswechsel, keine Kalender, Tassen, Schreibmappen, Stifte – auch hier wieder die Frage, warum spart man grundsätzlich bei denjenigen, die eigentlich den „Laden am Laufen halten“?
Nein, es gibt keinen Unterchied zwischen David und Goliath