Elon Reeve Musk oder William (Bill) Henry Gates standen vermutlich in ihrer Kindheit und Jugend auf dem Schulhof in einer abgelegenen Ecke, zusammen mit anderen Außenseitern, die sich so gegenseitig ein mehr als fragiles soziales Schutzschild waren. Oder sie verbarrikadierten sich lieber gleich im Schulcomputerraum, der damals noch mies ausgestattet war, da hing dann so ein süßlicher Geruch in der Luft und halbleere Pizzakartons flogen herum.
Das Wort Nerd hat seinen Ursprung im US-College-Slang und bezeichnet einen Sonderling oder Streber, je nach Arroganz des Wortverwenders auch einfach einen Schwachkopf. Der schillernde Gegenspieler des Nerds ist der Jock, der Football-Star, der sich die hübscheste Chearleaderin aussuchen kann und der darüber bestimmt, was cool ist und was nicht. Jocks und Nerds sieht man ihre Rolle meist schon rein äußerlich an.
Ursprünglich also ein Schmähwort, entwickelte sich das Wort Nerd, bedingt durch das eigenwillige Selbstbewusstsein und den fachlichen Genius der so Bezeichneten, mindestens unter ITlern zu einer Auszeichnung. Linus Torwalds (der Erfinder des Betriebssystems Linux – er leitete dessen Namen aus seinem eigenen Vornamen ab) bezeichnet sich in seinem Buch Just for fun selbst als Nerd, was seine Nerdigkeit fast schon belegt.
Er legte mit seinem genialen (für den Alltagsgebrauch fast schon zu genialen) Versionsverwaltungssystem Git noch einen drauf. So bedeutet Git aus dem Englischen übersetzt Schwachkopf. Er begründete diese Namensgebung so: “I’m an egotistical bastard, and I name all my projects after myself. First ‘Linux’, now ‘Git’.”
In Steve Jobs Biografie wird beschrieben, wie er, bei seinen exzentrischen Höhenflügen, die Toilette ritualisiert zweckentfremdete, indem er zur Beruhigung seine Füße reinstreckte und die abkühlende WC-Spülung betätigte. Er war es, der mit seiner Firma Apple Heimcomputer, Smartphones und Tablets zu dem machte, was sie heute sind. Mark Zuckerberg zieht immer nur Jeans, graue T-Shirts und Turnschuhe an, weil er fürchtet, dass Alternativen in seinem Kleiderschrank zu viel Energie bei der morgendlichen Entscheidungsfindung kosten. Er ist es, dessen Soziales Netzwerk Facebook jeder vierte Erdenbewohner inzwischen mindestens einmal im Monat nutzt. Elon Musk hält Essen, wie wir aus seiner Biografie erfahren, für Zeitverschwendung. Er ist es, der Menschen durch Röhren von einer Stadt zur anderen schießen und die Menschheit zum Mars katapultieren wird.
Ich habe mich lange Zeit gefragt, was das Erfolgsrezept dieser zu Ikonen der Menschheitsgeschichte gewordenen Nerds ist. Wieso bringen sie das nächste Ding raus, worauf die Menschheit, ohne es zu wissen, schon sehnlichst gewartet hat und nicht die BWLer mit Premiumabschluss und lückenlosem Lebenslauf. Die eher beiläufige Bemerkung eines Kollegen brachte mich darauf: es ist die wohl beim Menschen selten anzutreffende Kombination aus technischer Brillanz, Selbstvergessenheit, verschroben-visionärer Kommunikation und nicht zuletzt einem gut cachierten Geschäftssinn. Vermutlich kommt noch hinzu, dass ein Nerd schon früh lernen musste, den ihn belächelnden Mainstream und dessen eingetrampelte Denkpfade zu verlassen.
Die nächste Generation von Nerds daddelt gerade im Schulcomputerraum vor sich hin und wird von ihren Schulkameraden dafür belächelt. Sie werden die Welt verändern. Und eines Tages werden sie vor ihren Spöttern stehen und ihnen zurufen: „Stay hungry. Stay foolish.“