Die Pandemie ist beendet. Während sich die Bundesregierung trotz hoher Infektionszahlen um lockerere Bestimmungen bemüht, ist die IT-Branche längst wieder in Aufbruchstimmung. Nach zwei wirtschaftlich schwierigen Jahren und verschobenen Investitionen in die eigene Infrastruktur können SAP-Entwickler und -Berater den aktuellen Bedarf kaum mehr decken.
Hier greifen allerdings die grundlegenden Wirtschaftsprinzipien von Angebot und Nachfrage: Der Wunsch noch Erneuerung und Erweiterung auf Kundenseite trifft auf einen von Fachkräftemängel geplagten Dienstleistungssektor. Selbst wer über eine eigene IT-Abteilung verfügt, greift für umfangreichere Projekte auf die Expertise Dritter zurück, sei es mangels eigner Expertise oder Manpower. Dieser hohe Bedarf führt entsprechend zu hohen Preissteigerungen in der SAP-Entwicklung. Externe Berater verdienen stellenweise mehr als die Geschäftsführer des Kunden.

Konzept des „Citizen Developer“- Low-Code-Initiative von SAP

Bei der SAP ist die Situation bekannt und der Konzern versucht bereits, gegenzusteuern. Mit einer Low-Code-Initiative und Tools wie AppGyver – der „visuellen Programmierumgebung“ für „Bürgerentwickler“ (citizen developer) – sollen fertige Unternehmenslösungen möglich sein. „Baue deine App in Minuten“, verspricht die SAP in einem Blogeintrag. Doch was zu schön ist, um wahr zu sein, ist es in der Regel auch.

Mit dem Konzept des „Citizen Developer“ umschreibt die SAP lediglich und räumt ein, dass professionelle Entwickler Mangelware sind. Auf dem Schwierigkeitsniveau bekannter Office-Anwendungen sollen sich die Kunden letztlich ihr Wunschprodukt zusammenklicken können. Solche Initiativen kommen alle paar Jahre auf, versprechen die Revolution in der Informatik. Bis zu diesem Moment hat sich allerdings noch keine dieser Lösungen ernsthaft durchsetzen können. Erst recht nicht gegenüber professionellen Entwicklern – zu groß ist der qualitative Unterschied.
Dennoch ist damit zu rechnen, dass weiterhin solche Low-Code-Initiativen mit ihren visuellen Baukästen die digitale Revolution versprechen. Das ist auch sinnvoll und richtig: Ohne neue Ideen kann es keinen Fortschritt geben. Sie helfen damit außerdem Beratern und Entwicklern, sich mit der eigenen Arbeit auseinanderzusetzen, die eigene Arbeitsweise zu analysieren und zu optimieren. Durch diese permanente Selbstreflexion halten sie ihren Vorsprung aufrecht. Brächte ein solcher Low-Code-Ansatz tatsächlich den gewünschten Erfolg, würde der gesamte Entwickler- und Beraterbereich überflüssig. Doch die Nachfrage ist bekanntlich hoch und wird nicht geringer.
Im Umkehrschluss bedeutet diese Entwicklung, dass die Geräte zwar komplexere Prozesse verarbeiten können. Um diese Prozesse zu erstellen, benötigt es angesichts der nach wie vor vorhandenen Grundprobleme weiterhin erfahrene Entwickler. Nicht umsonst müssen sie sich selbst immer wieder auf den neuesten Stand bringen und weiterbilden. Für einfache Anwendungen mag ein solcher Low-Code-Ansatz eine nette Unterstützung sein. Doch komplexere Szenarien lassen sich damit nicht umsetzen. Hierzu bleibt eine eigene IT-Abteilung oder ein externer Partner unabdingbar. Alles andere ist Augenwischerei.

Vor rund einem Jahr war die Pandemie noch ein klares Investitionshemmnis. Während Headhunter versuchten, ihr Portfolio aufzubessern, blieben ernsthafte Gesuche rar. Diese zögerliche Unentschlossenheit ist in den vergangenen Monaten einem Buhlen um Auftragnehmer gewichen. Ich selbst arbeite inzwischen als Selbstständiger mit der Schweizer EXPRIS AG zusammen. Hier ließ sich in jüngster Zeit eine ähnliche Tendenz beobachten. Das betrifft die eigenen Produkte und deren Vertrieb ebenso wie das umfangreiche Angebot an Leistungen: Das Kundeninteresse steigt rasant.

Der goldene Mittelweg- SAP Screen Personas

Zwischen Low-Code und professionellem Externen existiert auch noch eine Art goldener Mittelweg. Hier landen wir schnell bei SAP Screen Personas, das mittlerweile zum Kern des SAP S/4HANA-Produkts zählt und von Haus aus mit ausgeliefert wird. Mit dessen Einsatz kommt die in vielen Fällen komfortable Drag-and-Drop-Funktionalität zum Tragen. Für viele einfache Anwendungsszenarien reichen geringe Programmierkenntnisse aus. Bei einem höheren Automatisierungsgrad lässt sich per Scripting nachhelfen. Bei Bedarf unterstützen Berater und Entwickler mit ihrer Fachkenntnis.
Ein Beispiel aus dem Bereich Sales and Distribution: Hier gestalten sich einige Transaktionen als sehr komplex. Gleichzeitig verfügen Vertriebsmitarbeiter nicht über ein vertieftes Wissen im Umgang mit SAP. Schulungen wiederum gestalten sich als zeitaufwendig und kostenintensiv. Um das zu vermeiden, bemühen sich die Unternehmen und Entwickler, Transkationen auf einem geringen Komplexitätsniveau zu halten. Mit weiteren automatisierten Prüfungen kommen weniger inkonsistente oder unvollständige Belege zustande. Eben diese Prozesse lassen sich mit SAP Screen Personas modifikationsfrei und einfach gestalten. In der Folge sinkt die Fehlerquote und die Effizienz der Transaktionsabläufe steigt.

Dieses Vorgehen bietet auch für die externen Dienstleister einen Vorteil: In einem solchen Szenario baut der Entwickler auf einem standardisierten Grundgerüst auf. Er muss also nicht in jedem System die Basis kennen, um die Kundenwünsche zur Individualisierung der komplexeren Prozesse zu implementieren. Einen Teil des Automatisierungsprozesses kann das Unternehmen nach den eigenen Bedürfnissen einrichten. Um hier reibungslose Workflows zu erreichen, wird weiterhin die Zusammenarbeit mit starken Partnern gefordert sein.

Anwendungsfall: Heidelberg Cement- SAP Standard Transaktion mithilfe von SAP Screen Personas & Microsoft CRM

Nehmen wir als Beispiel ein echtes, produktives Szenario bei meinem Kunden Heidelberg Cement. Dessen Integrationsteam stellt freundlicherweise einen Screenshot aus der eigenen Lösung zur Verfügung. Darin ist die SAP Standard Transaktion VA42 „Kontrakte ändern“ zu sehen.
Hier lässt sich gut verdeutlichen, wie das Integrationsteam gemeinsam mit mir die Ansicht – modifikationsfrei – auf die Bedürfnisse der Nutzer angepasst hat. Zum einen haben wir die Anzahl der Eingabemasken auf das Notwendigste reduziert: Normalerweise wäre Know-How im Bereich Preiskonditionen erforderlich, um die Preise einer Position anzupassen. Dank der Automatisierung und Vereinfachung mittels SAP Screen Personas kann der Nutzer nun direkt den Preis und bei Bedarf auch Rabatt für eine Position vorgeben.

Darüber haben wir die Felder neu geordnet, um den Nutzern eine bessere Übersicht zu geben. Die Felder liegen eigentlich nicht auf der Hauptmaske. Durch die Verschiebung rücken sie unmittelbar ins Sichtfeld, sodass eine zusätzliche Navigation oder zeitaufwendige Suche nach den Feldern entfällt.
Zusätzlich sind einige Felder mit Verprobungen versehen, um Fehleingaben zu vermeiden. Diese Verprobungen zählen nicht zum SAP-Standard, sondern werden kundenspezifisch hinzugefügt. Auch dies verringert Fehleingaben und Inkonsistenzen in den Belegen.

Beispiel: Maske SAP Screen Personas OnPremise Installation Quelle: HeidelbergCement


Hybrid Solution: Außen Microsoft CRM – Cloud Edition, Innen SAP Screen Personas – OnPremise Installation

Bei Heidelberg Cement geht die Implementierung von SAP Screen Personas noch einen Schritt weiter: Das Unternehmen setzt auf eine Hybrid Solution. Beim äußeren Bereich der Anwendung handelt es sich um das Produkt Microsoft CRM – Cloud Edition. Darin eingebettet liegt im inneren Bereich die SAP Screen Personas – OnPremise Installation. Diese Kombination ist aus technischer Sicht durchaus beachtlich, zumal sie hier herstellerübergreifend mit Produkten aus den Häusern Microsoft und SAP umgesetzt wird. Entscheidend daran ist, dass der Endanwender diese hybride Anwendung nicht wahrnimmt. Aus seiner Sicht bewegt er sich in einer Produktumgebung.
Dieser Kniff gelingt, da beide Anwendungen im selben Browser-Tab dargestellt werden und durch URL-Parameter Informationen miteinander austauschen – technisch war die Umsetzung durchaus anspruchsvoll. Doch der Mehrwert für alle Beteiligten liegt auf der Hand.

Beispiel: Hybrid Solution: Maske Microsoft CRM – Cloud Edition im äußeren Bereich und Maske SAP Screen Personas – OnPremise Installation im inneren Bereich, Quelle: HeidelbergCement

Fazit: Kompetente Berater und fähige Entwickler unabdingbar

Ob nun Module wie Sales and Distribution, Warehouse Management, Quality Management oder HR – kein Low-Code-Ansatz kann einem Unternehmen erklären, wie es seine komplexen Wünsche in einfache Prozesse integriert. Hierfür braucht es weiterhin kompetente Berater und fähige Entwickler dahinter. Sie bieten einen Gesamtüberblick und bringen gleichzeitig Expertise von außen ins Haus, um die bestehenden Systeme zu analysieren und zu optimieren. Die Zusammenarbeit mit Heidelberg Cement steht hierfür exemplarisch: Das Integrationsteam kennt die Bedürfnisse des Hauses im Detail und richtet die eigene Arbeit danach aus. Für die komplexe Implementierung dieser Hybrid Solution verstärken sie sich dann mit externer Expertise.

Solche Modelle der Arbeitsteilung haben sich bereits in den vergangenen Jahren bewährt, aber wegen der Pandemie einen Dämpfer erfahren. Die Erfahrung der vergangenen Monate zeigt nun, dass die Wirtschaft müde ist – Krisenmüde. Nach mehr als zwei Jahren Warten und Stagnation lechzen die Entscheider danach, wieder Fortschritt zu sehen. Sie wollen in ihren Geschäftsfeldern vorankommen und investieren. Die entscheidende Herausforderung der Informatik für die kommenden Monate wird sein, diese Nachfrage auch zu bedienen.

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Marc Hofer hat das SAP-Geschäft von der Pike auf gelernt: Angefangen bei der Basis in der SAP Validierung bildete er sich zum Entwickler und Berater im Bereich Logistik weiter. Seitdem betreute er zahlreiche Kunden. Heute verantwortet er als Architekt SAP S/4HANA Migrationen. Als Mitglied im SAP PartnerEdge Open Ecosystem entwickelt er Addons für seine Kunden. Der Fokus seiner Arbeit liegt in der ganzheitlichen Betrachtung der IT-Landschaften. Er hat Anfang 2022 die IT Culture GmbH für SAP Beratung und Entwicklung gegründet und arbeitet hier eng mit dem Schweizer Beratungs- und Softwareunternehmen EXPRIS AG zusammen. Mehr unter: www.marc-hofer.de, www.it-culture.net und www.expris.ch.

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