Vincent Huget ist CEO und Co-Gründer des Freelancer-Marktplatz Malt – ein europäischer Marktplatz für digitale Freelancer und Unternehmen, der zuletzt 80 Mio € Finanzierungskapital von u.a. Goldman Sachs und Eurazeo eingesammelt hat. Mit über 8 Jahren Erfahrung im internationalen Personalvermittlungsmarkt kennt er die Probleme der Selbstständigen und Unternehmen sehr gut. Seit seinem Umzug nach München für den Markt Launch von Malt in Deutschland beschäftigt er sich als Country Manager auch eingehend mit den länderspezifischen Regularien rund um das Thema Scheinselbstständigkeit, um seinen Kunden und Freiberuflern auf sie zugeschnittene Services anzubieten.
Im Kommentar für das IT-Freelancer Magazin klärt er über die Ausgangslage auf und spricht von seinem neuen Ansatz mit Malt, mit dem er den Personalvermittlungsmarkt in Deutschland revolutionieren will.

Frankreich hat sich den Freelance Talent-Pool längst erschlossen. Deutschland ist noch zögerlich.

Als wir Malt 2013 gegründet haben war es unser Ziel einen Marktplatz für europäische Freelancer zu schaffen, der die Schmerzpunkte der Zusammenarbeit für beide Seiten eliminiert. Für die Selbstständigen waren das u.a. faire, lokale Tagessätze, wofür es im Plattformmarkt noch kein funktionierendes Modell gab. Aber auch mehr Autonomie in der Projektauswahl mit direktem Kundenkontakt.
Damals war der Markt stark von klassischen Personalvermittlungsagenturen dominiert und Unternehmen hatten große Vorbehalte mit Selbstständigen direkt zusammenzuarbeiten.
Diese Situation zeigt sich auch in Deutschland, wo die Regulation im Vergleich zu Frankreich noch etwas strenger ist.
Natürlich verstehe ich, dass es bei Selbstständigkeit um ein breites Spektrum auf dem Arbeitsmarkt geht. Lohndumping oder der Missbrauch von Werkverträgen in prekären Jobs sollte von den Behörden streng kontrolliert und verhindert werden.
Es muss jedoch klar zwischen schutzbedürftiger Abhängigkeit und hochqualifizierter Wissensarbeit unterschieden werden.
Bei Malt haben wir eine Community von 250.000 Selbstständigen in Deutschland, Frankreich und Spanien. Jedes Jahr befragen wir in einer umfangreichen Studie mit der Boston Consulting Group unsere Community zu ihren Arbeitsweisen, Projekten und Herausforderungen. Darin zeigt sich immer wieder: Die Community der digitalen Freelancer entscheidet sich sehr bewusst für die Selbstständigkeit und leistet dadurch einen unschätzbaren Beitrag zur Innovationskraft der Wirtschaft.

Freelancing ist eine Entscheidung für Selbstbestimmung

84% wollen nicht zurück in eine Festanstellung, sondern sind gerne selbstständig und wollen selbstbestimmt ihrer Arbeit nachgehen. Auch Ihre Tagessätze liegen auf einem wettbewerbsfähigen Niveau, z.T. weit über dem Durchschnittsgehalt eines Angestellten in derselben Branche. 77% haben mindestens einen Bachelor Abschluss (BCG & Malt, Freelancing in Europe 2021).

Gerade unter diesen Selbstständigen gibt es gute Argumente für eine echte Selbstständigkeit, wenn die entsprechenden Rahmenbedingungen passen und auf Eingliederung und Weisungsbindung verzichtet wird.
Die rechtliche Unsicherheit und Gesetzesänderungen im Lauf der Jahre hat aber eher dazu geführt, dass viele große Unternehmen, darunter auch einige DAX-Konzerne, gar nicht mehr oder nur noch unter sehr strengen Auflagen mit Freiberuflern und Selbstständigen aller Art zusammenarbeiten.
Damit schaden wir nicht nur den Freiberuflern und Selbstständigen, die ihrer Arbeit nachgehen wollen, wir schaden besonders der Innovationskraft der deutschen Wirtschaft.
Digitale Freelancer mit seltenen IT-Fähigkeiten sind ein unverzichtbarer Talent-Pool für die Digitalisierung der Wirtschaft. Frankreich hat sich diesen Talent-Pool längst erschlossen. Deutschland ist noch zögerlich.
Auf der einen Seite verstehe ich die Zurückhaltung, Das Thema ist gerade in Deutschland nicht unkomplex.
Auf der anderen Seite glaube ich, dass es bei allen Beteiligten noch Luft nach oben gibt, wenn es darum geht das Thema proaktiv anzugehen und mit den Selbstständigen eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe zu etablieren.
Die Lösung ist viel zu oft sich selbst teure und aufwändige Prozesse aufzuerlegen, die Selbstständige in die Gründung einer GmbH, in einen Subunternehmervertrag oder sogar in eine Arbeitnehmerüberlassung drängen.
Damit nimmt man ihnen leider aber genau das, was für sie der Grundwert ihrer Existenz ist: Selbstbestimmung und Entscheidungsfreiheit.

Was sollten Unternehmen tun, um mit den besten, freien Talenten zusammenzuarbeiten?

Der einzige Weg, den auch Fachanwälte mit langjähriger praktischer Expertise in diesem Bereich immer wieder betonen, um die Zusammenarbeit so rechtssicher wie möglich zu gestalten, ist die gelebte Form der Zusammenarbeit grundlegend zu ändern und eine Kollaboration auf Augenhöhe zu ermöglichen.
Wer wirklich selbstständig arbeitet, der hat die Autonomie über seine Arbeitszeiten und die Wahl des Ortes seiner Tätigkeit. Er nutzt seine eigenen Arbeitsmittel und trägt das volle unternehmerische Risiko.
Im Bereich der unternehmerischen Freiheit bietet ein digitaler Marktplatz hier entscheidende Vorteile. Die Selbstständigen treten mit einem öffentlichen Profil offen am Markt auf, haben die Macht über ihre eigene Preisgestaltung und können für mehrere Auftraggeber gleichzeitig arbeiten und Aufträge selbstständig entweder annehmen oder ablehnen.
Durch die direkte Kommunikation zwischen Kunde und Freelancer bereits beim ersten Kontakt, ermöglichen wir beiden Seiten miteinander in den Dialog zu gehen und die Bedingungen der Zusammenarbeit gemeinsam zu gestalten.
Natürlich zählt nicht allein der Wille – Klare Prozesse und kompetente Beratung sind für die richtige Umsetzung absolut zentral.
Bei Malt haben wir deshalb nicht nur einen Marktplatz geschaffen der schnellen und direkten Zugang zu einem großen Freelancer-Pool ermöglicht, wir bieten den Unternehmen auch ein unternehmensübergreifendes, digitales Management-System, das als Single Source of Truth die nötige Transparenz schafft, um dem Thema gerecht zu werden. Verträge werden dort zentral hinterlegt und automatisch vorgelegt, notwendige Prozesse können standardisiert aufgesetzt werden, sind nachvollziehbar und können effizient umgesetzt werden.
Die Aufgabe ist nicht trivial. Wir als Personaldienstleister müssen unsere Kunden auf dem Weg dorthin begleiten.
Unternehmen, die im digitalen Wettbewerb bestehen wollen, müssen sich dem Thema aber annehmen.
Die Beziehung auf Augenhöhe ist dafür entscheidend. Alle Services und Dienstleistungen, die im Unternehmen eingeführt werden, sollten sich an diesem Grundsatz ausrichten.

Die Wirtschaft braucht Unterstützung: Es braucht ein besseres Verständnis von moderner Wissensarbeit

Es braucht ein neues Verständnis von Freelancing, das Selbstbestimmung, Unabhängigkeit und Unternehmertum wieder in den Vordergrund stellt.
Hier sind besonders auch die Behörden gefragt. Unternehmen sind gewillt eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe zu etablieren, brauchen dafür aber auch das Signal, dass ihre Schritte honoriert und anerkannt werden.
Wenn Kriterien bewusst vage bleiben, um am Ende allein auf Basis eines abstrakten Konzepts von Unabhängigkeit und Selbstständigkeit zu entscheiden, dann dürfen die Unternehmen, die darauf geprüft werden, auch erwarten, dass die Konzepte und Kriterien an neue Arbeitsmodelle und Methoden angepasst werden. Die prüfenden Behörden müssen sich also mit den verschiedenen Formen von Arbeit im neuen digitalen Zeitalter auseinandersetzen.
Gerade beim Thema Weisungsbindung und Eingliederung braucht es auf Seiten der Behörden eindeutig ein besseres Verständnis von moderner Wissensarbeit.
Kollaboration und Wissensaustausch sind in digitalen Projekten essentiell und müssen von Weisungen im arbeitsrechtlichen Sinne (Schichtpläne, Urlaubsanträge, etc.) klar getrennt werden.

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Vincent Huguet ist CEO und Co-Gründer des Freelancer-Marktplatzes Malt. Der EDHEC alumnus hat für Telecom France und Telmex in Mexiko als Marketingstratege gearbeitet. Gleichzeitig hat er dort eine der ersten e-commerce Webseiten Mexico's aufgebaut, bevor er wieder nach Frankreich zurückkehrte, um dort mehrere Startups zu gründen. Als Entrepreneur stand er vor der Herausforderung Freelancer zu finden, die ihm bei der Skalierung seines Geschäfts helfen konnten. Zusammen mit Hugo Lassiege, damals IT-Freiberufler, gründet er daraufhin die Malt Community. Ein Marktplatz mit einer ehrgeizigen Vision: Den Markt für IT-Beratung und professionelle Dienstleistungen zu revolutionieren. Mit einem offenen Plattform-Modell, das Transparenz, Kollaboration auf Augenhöhe und die Community unter Freelancern fördert.

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