Tobias Zech startete seine Karriere als 16-Jähriger mit IT-Freelancing – er erstellte Homepages mit Frontpage und HTML. Später war er Azubi bei Edeka, studierte BWL, jobbte nebenher als Werkstudent. Er war angestellter Konzernmanager bei Airbus, diente acht Jahre als Soldat im Personalwesen, machte sich vergangenes Jahr als Business Developer mit zwei Partnern selbständig. Keine 40 Jahre alt, ist er seit Mai 2020 als Nachrücker ein zweites Mal Bundestagsabgeordneter (Abgeordnetenseite Tobias Zech) und dort u.a. im Ausschuss für Arbeit und Soziales. Also eine Patchwork-Berufsbiografie aus dem 21. Jahrhundert mit den bekannten Brüchen bei der Altersvorsorge durch einen rechtlichen Rahmen aus dem 20. Jahrhundert, der inspiriert ist aus Vorstellungen über die Arbeit aus dem 19. Jahrhundert.
Zum Interviewtermin am 30. September 2020 vor dem Reichstag und im Garten der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft gab es natürlich keinen Handschlag – schon drei seiner Bekannten sind an den Folgen einer Corona Infektion verstorben, so der oberbayerische Abgeordnete. Zwei davon waren Kollegen im Gemeinderat, beide ohne bekannte Vorerkrankungen.
Carlos Frischmuth (Bundesverband selbständige Wissensarbeit): Durch die latente rechtliche Unsicherheit rund um den Einsatz von IT-Freelancern gibt es am Markt teilweise Irritationen. Viele Unternehmen betreiben größte Compliance Anstrengungen, um den Einsatz möglich zu machen. Andere wiederum verschieben wichtige Innovationsprojekte oder lagern diese ganz aus. Herr Zech, wie nehmen Sie das wahr und was unternimmt der Gesetzgeber um dies zu ändern?
Tobias Zech: In der Abgrenzung zwischen selbständiger und unselbständiger Tätigkeit kommt es immer wieder zu Abgrenzungsproblemen. Insbesondere die Statusfeststellung anhand des einzelnen Auftrags greift oft nicht weit genug und kann zu Fehlannahmen führen. Für die Zukunft müssen wir klarere rechtliche Grundlagen schaffen. Dabei gilt es das Wesen der Selbständigkeit herauszustellen und nachhaltig zu schützen.
Michael Wowro (IT Freelancer Magazin): Zur Zeit des ersten Corona-Einschlags waren Sie ja auch Unternehmer. Was können Sie anderen Selbständigen da an Erkenntnissen weitergeben?
Tobias Zech: Die Bundesrepublik hat seit der ersten Phase der Corona-Pandemie eine unglaubliche Kraftanstrengung betrieben. Deutschland hat mit seinen Soforthilfe-Paketen und den KFW-Krediten schnell und unbürokratisch geholfen. Der Backbone der Deutschen Wirtschaft sind Mittelständler, die Familienunternehmer und natürlich auch die Freiberufler. Durch die Pandemie sind viele Selbständige unverschuldet mit Auftragsausfällen und in der Folge mit angespannter Liquidität konfrontiert. Hier ist der Ansatzpunkt staatliche Hilfen. Mit der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht werden Unternehmen über die Corona-Krise hinweg gerettet und mit dem vereinfachten Zugang ins SGB II gibt es auch ein Netz für Soloselbständige.
Carlos Frischmuth: Erfreulicherweise wurden in der Corona-Krise von Anfang an Lösungen für die Selbständigen gearbeitet. Leider scheinen diese nicht immer zu greifen, und so wird momentan das Bild von einer besonders prekären Situation dieser Gruppe gezeichnet, was bestimmte Kräfte für ihre Argumentation gegen Selbständigkeit nutzen. Wir versuchen, ein differenziertes Bild von Selbständigkeit zu vermitteln – teilen Sie diese Sicht?
Tobias Zech: Ja, diese Sicht teile ich. In Deutschland gibt es ein breites Spektrum in der Ausprägung der Selbständigkeit. Als Selbständiger kommt es nicht darauf an, ob man ein großes Unternehmen hat oder Solo-Selbständiger ist. Die Solo-Selbständigen haben in den letzten Jahren immer mehr an Gewicht gewonnen, sodass deren Interessen weiter in den Vordergrund getreten sind. Früher war der IT-Freelancer einer der klassischen Solo-Selbständigen. Heute haben Sie in vielen Branchen einen Solo-Selbständigen sitzen. Viele Startups konnten durch Freelancer überhaupt erst so groß werden, wie sie es heute sind. Hier muss auch beachtet werden, dass der IT-Freelancer im Durchschnitt mehr verdient als dies in den meisten  anderen Branchen möglich ist. So ist es für den IT-Freelancer auch einfacher selber fürs Alter vorzusorgen. Das kann aber nicht der Maßstab für jeden Solo-Selbständigen sein.
Michael Wowro: Bezüglich des geplanten Altersvorsorgezwangs für Selbständige vertreten Sie die Position „Altersvorsorgepflicht ja, Pflicht zum All-inclusive-Paket im Alter nein.“ Können Sie das näher erläutern?
Tobias Zech: Ich bin dafür, dass wir ein System schaffen um es Selbständigen zu ermöglichen besser für das Alter vorzusorgen. Dies darf aber nicht zu überbordender Bürokratie und zu einem hohen Liquiditätsabfluss, insbesondere in der Gründungsphase führen. Für mich persönlich ist es auch wichtig, dass grundsätzlich die Wahl des Vorsorgeprodukts allein durch den Selbständigen getroffen wird. Allerdings kann ich mir vorstellen eine Grundabsicherung, zum Beispiel durch eine Übertragung der Mechanismen der aktuellen Handwerkerregelung, als Grundabsicherung festzuschreiben.
Carlos Frischmuth: Eine der aus unserer Sicht größten Unwägbarkeiten beim Einsatz von selbständigen Wissensarbeitern ist das Statusfeststellungsverfahren der Deutschen Rentenversicherung. Wenn die auch von Ihnen befürwortete Verpflichtung zur Altersvorsorge kommt, könnte man dann nicht auf das Verfahren verzichten – zumindest für bestimmte Gruppen von Selbständigen? Oder sehen Sie noch andere Chancen, um hier mehr Rechtssicherheit bei Auftraggebern und Auftragnehmern zu schaffen?
Tobias Zech: Ich sehe nicht, dass das Statusfeststellungsverfahren komplett abgeschafft werden kann, jedoch sehe ich das Statusfeststellungsverfahren schon bei Auftragserteilung bzw. Vertragsabschluss prüfen lassen zu können. Damit würde das Verfahren stärker prognostisch ausgestaltet und somit auch rechtssicherer für die Zukunft.
Michael Wowro: Die Koalition will die Selbstständigen vor Altersarmut und die Gesellschaft vor möglichen Hartz IV-Ansprüchen Selbständiger im Alter schützen. Die Selbständigen hingegen wollen größtmögliche unternehmerische Freiheit bei der Wahl Ihres Altersvorsorgeinstruments. Wäre da nicht folgender Kompromiss denkbar: Ein Pflichtbeitrag eines Selbständigen in der gesetzlichen Rentenversicherung wird zwar eingeführt, jedoch begrenzt: er muss nur so viel einzahlen, dass er eine Rente in Höhe der Grundrente (oder Grundsicherung) erreicht, wie sie am Tag seines Renteneintritts zu erwarten ist. Die Grundrente gilt in der Koalition schließlich als probates Mittel gegen die Altersarmut. Alles was an Altersvorsorge darüber hinausgeht, bliebe dann in unternehmerischer Freiheit: „Lege ich das Geld in Immobilien, in ETF-Fonds oder eben meinem eigenen Unternehmen an, weil ich darauf zähle, dass dies meine Altersvorsorge maximiert?“
Tobias Zech: Das könnte ein sehr gut umsetzbarer Vorschlag sein. Ein Selbständiger entscheidet sich bewusst für das Unternehmertum und hat damit immer mehr Freiheiten als ein Angestellter, muss damit aber auch immer mehr Risiko als jemand in einer angestellten Tätigkeit tragen. Trotzdem ist die Altersvorsorge immer noch etwas ganz Wichtiges im Leben eines jeden Menschen. Da muss auch der Selbständige ein bisschen an die Hand genommen werden, ohne ihm dabei zu viele Freiheiten zu nehmen. Denn heute ist der Selbständige nicht nur der Großunternehmer, sondern auch in vielen kleinen und großen Startups zu finden.
Michael Wowro und Carlos Frischmuth: Herr Zech, haben Sie herzlichen Dank für das Interview!
Weitere Interviews mit Bundestagsabgeordneten u.a. zum Thema Scheinselbständigkeit finden Sie hier.

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Michael Wowro war von 2015 bis 2021 Herausgeber des IT Freelancer Magazins. Dieses Amt hat er zugunsten seines Unternehmens für 3D-Visualisierung von Messdaten else42 GmbH an Hays übergeben. Er freut sich auf eine Kontaktaufnahme via LinkedIn!

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