[Dieser Artikel wurde bereits im Juni 2017 hier publiziert. Da er jedoch immer noch aktuell ist, sicherlich noch nicht von allen Lesern des IT Freelancer Magazins gelesen wurde und da er das (leider) herausragende Thema der IT Freelancer Community, die Scheinselbständigkeit, auf eine äußerst differenzierte und unaufgeregte Weise anpackt, erscheint er hier noch einmal.]
Was änderte sich?
Die am 01.04.2017 in Kraft getretenen Änderungen zum Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) sowie die Ergänzung der gesetzlichen Bestimmungen zum Arbeitsvertrag (§ 611 a BGB) sorgen nach wie vor für große Verunsicherung.
Welche Effekte haben diese in Kraft getretenen Regelungen?
Die neuen Regelungen erschwerten die Arbeitnehmerüberlassung, schufen neue Probleme in der Auslegung der Vorschriften und brachten durch den Versuch einer Definition des Begriffs „Arbeitsvertrag“ keinen wirklichen Fortschritt.
Was änderte sich im Bereich Scheinselbstständigkeit und Rentenversicherungspflicht?
Nichts!
Warum änderte sich hier nichts?
Die neuen Regelungen sind im AÜG und im BGB angesiedelt. Für den Bereich Scheinselbstständigkeit und Rentenversicherungspflicht ist die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRB) bzw. deren regionalen Ableger wie z.B. Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg etc. zuständig. Die DRB hat aber weder etwas mit dem AÜG noch mit dem BGB zu tun.
Die Grundlage der Tätigkeit der DRB ist ausschließlich das Sozialrecht und hier speziell das Sozialgesetzbuch (SGB). Und auch der Gesetzgeber selbst hat in seiner Gesetzesbegründung u.a. ausgeführt: „Soweit andere Rechtsvorschriften eine abweichende Definition des Arbeitsvertrages, des Arbeitsverhältnisses oder des Arbeitnehmers vorsehen, um einen engeren oder weiteren Geltungsbereich dieser Rechtsvorschriften festzulegen, bleiben diese unberührt“.
Und eventuelle Rechtstreitigkeiten zum Status „selbstständig“ oder „nicht selbstständig“ werden vor den Sozialgerichten und eben nicht vor den Arbeitsgerichten ausgetragen. Der Bereich Rentenversicherungspflicht hat ohnehin weder etwas mit der Scheinselbstständigkeit noch dem AÜG zu tun.
Warum meinen aber dennoch viele Selbständige und Unternehmen sie seien von den Regelungen betroffen?
Dies liegt meines Erachtens vor allem daran, dass das Gesetz unter der Überschrift „Verhinderung des Missbrauchs von Werkverträgen und Leiharbeit“ angekündigt worden ist und auch die öffentliche Diskussion stets in diese Rechnung läuft. Aber abgesehen davon, dass die Regelungen im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens erheblich verändert bzw. „entschärft“ worden sind, wird auch heute noch übersehen, dass bislang in den Prüfungsverfahren der DRB sowohl das AÜG als auch das BGB praktisch keine Bedeutung haben!
Warum interessiert die DRB das AÜG nicht?
Für die DRB kommt es überhaupt nicht darauf an, ob der Selbständige Arbeitnehmer oder „nur“ sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter ist.
Denn: Ziel der DRB ist es, aus möglichst vielen Selbständigen sozialversicherungspflichtige Beschäftigte zu machen, damit die DRB dann (maximal für 4 Jahre rückwirkend) die gesamten Sozialversicherungsbeiträge verlangen kann. Diese Forderung stellt die DRB stets an den unmittelbaren Auftraggeber, d.h. den Vertragspartner des Selbständigen. Ist der Selbständige nicht direkt sondern über einen Dritten, z.B. eine Unternehmensberatung, beauftragt könnte eine Arbeitnehmerüberlassung gegenüber dem Endkunden vorliegen. Da für die Forderung der DRB aber bereits deren eigenen Feststellung ausreicht, dass Sozialversicherungspflicht vorliegt und damit ein Anspruch gegen den Auftraggeber des Selbständigen gegeben ist, spielt das AÜG in diesem Zusammenhang keine Rolle!
Ist denn ein Scheinselbstständiger nicht das gleiche wie ein Arbeitnehmer?
Nein! Bereits in der gesetzlichen Definition des SGB zur Sozialversicherungspflicht heißt es dazu: „Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers“ (§ 7 Abs. 1 SGB IV). Dies bedeutet nichts anderes als dass ein Arbeitsverhältnis stets zur Sozialversicherungspflicht führt, eine als sozialversicherungspflichtig eingestufte Tätigkeit aber nicht automatisch ein Arbeitsverhältnis ist!
Außerdem: Der Begriff „scheinselbstständig“ bedeutet nur, dass der sozialrechtliche Status der betreffende Person unklar ist – letztlich gibt es nur drei Kategorien: Der (echte) Selbständige ohne jegliche Sozialversicherungspflicht, der Selbständige mit (eigener) Rentenversicherungspflicht und der Arbeitnehmer mit voller Sozialversicherungspflicht. Die Bezeichnung scheinselbstständig bezieht sich also nur auf einen vorübergehenden rechtlich ungeklärten Zeitraum.
Wer entscheidet denn darüber, ob ein Selbstständiger selbständig oder Arbeitnehmer ist?
Den Status „Arbeitnehmer“ kann nur von einem Arbeitsgericht festgestellt werden. Ein Gericht wird aber nicht von allein tätig – es bedarf eines Klägers. Zieht aber weder der Selbständige noch sein Auftraggeber – und der Endkunde sicherlich ebenfalls nicht – als Kläger vor ein Arbeitsgericht, so wird dies auch insofern kein Problem darstellen.
Aber das Risiko des „Einklagens“ besteht dennoch?
Ja, das ist so. Allerdings bestand dieses Risiko beim Engagement von Selbständigen seit jeher und hat genau genommen nichts mit der Scheinselbständigkeit zu tun.
Ist dieses Risiko durch die neue Regelung zu § 611 a BGB höher geworden?
Meines Erachtens nicht. Der neue § 611 a BGB beinhaltet im Prinzip letztlich die bekannten und in der Praxis seit langem angewandten Kriterien aus der Rechtsprechung des BAG und ist darüber hinaus – wie fast alle gesetzliche Bestimmungen – auslegbar. Es kommt nach wie vor – wie eigentlich immer – auf den jeweiligen Einzelfall an. Auch sind die Hürden bzw. Risiken für den Kläger – der zudem im Arbeitsgerichtsverfahren seine eigenen Kosten stets selbst tragen muss – nicht wirklich niedriger geworden.
Haben denn die neuen Regelungen überhaupt einen Einfluss auf die Situation der Selbständigen und deren Auftraggeber?
Rein rechtlich betrachtet wirken sich die neuen Regelungen definitiv nicht direkt auf Selbständige und deren Auftraggeber bzw. dessen Kunden aus. Allerdings ist ohne Zweifel festzustellen, dass bereits der erste Entwurf des nun verabschiedeten Gesetzes erhebliche Unruhe ausgelöst hat, die auch nach wie vor besteht und sich teilweise sogar noch verstärkt hat. Dafür gibt es bei Licht betrachtet eigentlich keinen Grund.
Aber bei der Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung hat sich doch etwas grundlegendes geändert, oder?
In der Tat gibt es hier eine gravierende Änderung. In der sehr häufig anzutreffenden Konstellation „Selbständiger – Auftraggeber – Endkunde“ war die Rechtslage bislang so, dass bei einer nachträglich feststellten Arbeitnehmerüberlassung diese nicht als unerlaubt galt, wenn der Auftraggeber selbst eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung besaß. Das BAG hatte in diesem Zusammenhang erst vor kurzen entschieden, dass in einem derartigen Fall kein Vertragsverhältnis zwischen dem Selbständigen und dem Endkunden zustande kommt.
Dies wird durch das neue Gesetz nunmehr geändert: Auch eine vorhandene Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung macht aus einer nachträglich feststellten unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung keine erlaubte.
Aber: Für eine Arbeitnehmerüberlassung braucht es einen Arbeitnehmer! Das heißt mit anderen Worten, bevor eine unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung festgestellt werden kann, muss zunächst der Status der betroffenen Person (selbständig oder Arbeitnehmer?) festgestellt werden.
Hat dies konkrete Konsequenzen für die Beteiligten?
Ja, das hat es. Ist der Status des Selbständigen als Arbeitnehmer festgestellt und liegt eine unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung vor, führt dies einerseits dazu, dass nunmehr zwischen dem Selbständigen/Arbeitnehmer und dem Endkunden, der dann als Arbeitgeber gilt, ein Arbeitsverhältnis zustande kommt.
Somit kommt hier der Endkunde – der in der oben erwähnten „Dreier-Konstellation bislang 100% geschützt war – mit ins Spiel bzw. ins Risiko.
Dem Auftraggeber und dem Endkunden droht weiterhin eine strafrechtliche Verfolgung, das heißt es kann ein Ordnungsgeld auferlegt werden bzw. eine Geld- oder sogar Freiheitstrafe verhängt werden.
Andererseits hat der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang eine neue Bestimmung, die so genannte „Festhaltenserklärung“, geschaffen, mit der der betroffene Selbständige bzw. Arbeitnehmer erklären kann, dass er kein Vertragsverhältnis zum Endkunden wünscht. Da diese Regelung aber ausgesprochen kompliziert ist, bleibt abzuwarten, ob sie überhaupt praktikabel ist.
Wie hoch ist in diesem Zusammenhang das Risiko einer Bestrafung?
Wie bereits oben ausgeführt, hat die DRB kein Interesse am Thema Arbeitnehmerüberlassung. Der strafrechtliche Aspekt ist nach meine Erfahrung nur dann von Bedeutung, wenn der Zoll in die Prüfung involviert ist, weil dieser seine Prüfungsergebnisse nicht nur an die DRB sondern auch immer an die Staatsanwaltschaft weiterleitet, die meist zumindest ein Ermittlungsverfahren einleitet. Ob sich dies zu einem „echten“ Strafverfahren auswächst oder mit oder ohne Geldauflage eingestellt wird, hängt vom Einzelfall ab.
Zusammengefasst gefragt: Neue Regelungen – alte Probleme?
Man könnte es in der Tat auf diesen kurzen Nenner bringen. Zwar kann es durch die neuen Regelungen des AÜG zu weiteren Problemen kommen – diese sind aber nicht wirklich neu. Für den Bereich der Abgrenzung selbstständig zu scheinselbstständig und rentenversicherungspflichtig haben die neuen Bestimmungen keine Auswirkung. Hier besteht nach wie vor eine große Grauzone, mit der alle Beteiligten auch zukünftig leben müssen.
Empfehlen Sie also, dass sich alle Selbständigen, Auftraggeber und Endkunden entspannt zurücklehnen?
Nein, das empfehle ich auch nicht. Meines Erachtens gibt es zwar keinen Grund zur Panik und überstürzten Aktionen. Andererseits sollten alle Beteiligten ihre Situation kritisch überprüfen, sich beraten und die rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen ihrer Tätigkeit bzw. Zusammenarbeit gründlich analysieren lassen.
Unternehmen, die Arbeitnehmerüberlassung betreiben, sollen bzw. müssen sich selbstverständlich auf die neuen Bestimmungen einstellen und ihre bisherigen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen möglicherweise ändern bzw. anpassen.
Und bei Unternehmen, die mit Selbständigen zusammenarbeiten stecken nach meiner Erfahrung sowohl in den Verträgen als auch in der Ausgestaltung der Tätigkeit meist erhebliches Potential für Optimierungen, wie zum Beispiel die Umstellung von den „klassischen“ Verträgen auf AGB und Bestellung/Angebot. Auch heute noch beinhalten viele Vereinbarungen mit Selbständigen Formulierungen, die geradezu eine „Steilvorlage“ für die DRB darstellen um eine Selbstständigkeit anzweifeln zu können. Weiterhin wäre zu prüfen , ob durch die Gründung einer Firma als juristische Person (GmbH oder UG) weitere Risiken verhindert oder zumindest minimiert werden können.
Im Übrigen ist die Auffassung der DRB auch nicht das „letzte Wort“ in einer Auseinandersetzung über die Frage scheinselbstständig oder nicht bzw. rentenversicherungspflichtig oder nicht; jedenfalls hat die DRB in diesem Zusammenhang auch schon zahlreiche Verfahren vor den Sozialgerichten verloren.
Letztlich muss jeder Einzelfall betrachtet werden und letztlich führt nur ein Gesamtpaket aus optimalen vertraglichen Vereinbarungen bzw. AGB/Angebot/Bestellung, die Merkmale der Selbständigkeit berücksichtigende Umsetzung der Tätigkeit und der Wahl der juristischen Form des Auftragnehmers zu einer optimalen und damit risikoarmen Lösung.
[Dieser Artikel wurde bereits im Juni 2017 hier publiziert. Da er jedoch immer noch aktuell ist, sicherlich noch nicht von allen Lesern des IT Freelancer Magazins gelesen wurde und da er das (leider) herausragende Thema der IT Freelancer Community, die Scheinselbständigkeit, auf eine äußerst differenzierte und unaufgeregte Weise anpackt, erscheint er hier noch einmal.]
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Ein Kommentar
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