Auf dem diesjähigen Presseroundtable von Lünendonk wurde dieses Thema intensiv diskutiert und auch in der IT Freelancer Community ist es ein heißes Eisen: Gehen IT Freelancer in die Arbeitnehmerüberlassung? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen hat das IT Freelancer Magazin die Mitherausgeber Allgeier Experts und Questax um Ihre Einschätzung gebeten. Und hier die Einschätzung von Bernd Sauer, Vorstand Götzfried AG (Allgeier Experts). Eine Woche später folgte dann die Einschätzung von Markus Bappert (Geschäftsführer Questax Experts GmbH), welche Sie hier finden.
Unternehmen sind insbesondere aufgrund der Herausforderungen der Digitalisierung auf den Einsatz hochqualifizierter und innovativer Experten angewiesen. Die Nachfrage nach diesen Experten – sowohl als IT-Freelancer als auch als Zeitarbeitnehmer – steigt kontinuierlich an.
Der temporäre Einsatz von selbstbestimmten IT-Freelancern wird allerdings durch veraltete, nicht zeitgemäße Arbeits- und Sozialversicherungsgesetze und Richtlinien und der daraus resultierenden Unsicherheit am Markt zunehmend erschwert. Dies betrifft im Falle der IT-Freelancer die „Scheinselbständigkeitsdebatte“. Eindeutige Kriterien zur zweifelsfreien Identifikation eines selbständigen Projekteinsatzes sind seitens der Politik leider nicht benannt worden.
Moderne und innovative Formen der Zusammenarbeit im agilen Umfeld (z.B. „Scrum-Teams“, „Crowd Working“) zeichnen sich durch kurze Abstimmungsfrequenzen und flexible Einsätze in den Projektteams der Unternehmen aus. In diesen modernen Arbeitsformen zur Bewältigung komplexer Fragestellungen stehen Geschwindigkeit und Kundenfokussierung im Vordergrund.
Diese Form der Zusammenarbeit von internen und externen Experten in gemeinsamen Projektteams wird von der Rentenversicherung als „Eingliederung“ und damit als Indiz für eine abhängige Beschäftigung gewertet. Die Rechtsprechung geht da differenzierter vor und erkennt z.B. in neueren Urteilen an, dass Abstimmungen nicht gleich Weisungen sind.** Eine Unsicherheit und ein Graubereich verbleiben jedoch.
Daraus resultiert die Fragestellung, inwieweit IT-Freelancer in Angestelltenverhältnisse wechseln, um den rechtlich bestehenden Graubereich in der Beurteilung ihrer Projektarbeit durch den Wechsel in ein Angestelltenverhältnis zu überwinden.
IT-Freelancer sind selbständige Wissensarbeiter mit hoher Expertise und technischer Spezialisierung, die sich ganz bewusst für die selbständige Wissensarbeit entschieden haben. Dieses Mindset, sich in den innovativsten Projekten im komplexen Digitalisierungsumfeld als freiberuflicher IT-Wissensarbeiter einzubringen, sehen wir als starkes Indiz und Kriterium für die Abgrenzung zu einem Angestellten.
Wir fragen genau dieses Kriterium bei unseren IT-Freelancern ab.
Ein IT-Freelancer nimmt bewusst Leerlaufzeiten zugunsten innovativster Projekteinsätze in Kauf. Diese Denkweise steht im Gegensatz zu dem „sicheren Hafen einer Feststellung“. Hohes Maß an Selbstbestimmung, insbesondere die Möglichkeit selbst zu entscheiden, wie das eigene Know-how entwickelt, vermarktet und eingesetzt wird, bei gleichzeitig lukrativen und innovativen Projektangeboten führen dazu, dass das Interesse eines IT-Freelancers gering ist, in ein Angestelltenverhältnis zu wechseln.
Der Markt innovativer und spannender IT-Projekte wird stetig größer. Dieser Trend wird sich in den nächsten Jahren durch Themen wie IoT / Industrie 4.0, die Durchdringung von AR und VR-Ansätzen, Big Data Analytics, etc. weiter fortführen. Auf der Angebotsseite hingegen stehen nicht mehr genügend IT-Freelancer zur Verfügung, die steigende Nachfrage der Unternehmen zu decken. Somit besteht für den IT-Freelancer in der Regel keine wirtschaftliche Notwendigkeit mehr, zur Überbrückung möglicher Leerlaufzeiten in ein Angestelltenverhältnis oder ein Zeitarbeitsverhältnis zu wechseln.
Tatsächlich kann ein IT-Freelancer heute aus mehreren gleichzeitig vorliegenden Projektangeboten auswählen. Diese Wahlmöglichkeit führt zu einem hohen Maß an Selbstbestimmung. Verschiedenen Studien zufolge ist genau dies einer der Hauptgründe in der neuen Arbeitswelt der IT, warum angestellte Arbeitsverhältnisse heute lange nicht mehr die Bedeutung aufweisen, als dies noch vor Jahrzehnten der Fall war.
Rechtlich ist ein Wechsel von der Selbständigkeit in ein Leiharbeitsverhältnis jederzeit möglich, auch wenn sich schon Stimmen in der Rechtsliteratur finden, die dies als „erstaunliche Ausweichstrategie in Scheinarbeitnehmerüberlassungsverträge“ (Projektbezogener Einsatz hochqualifizierten Fremdpersonals in der Compliancefalle?, Prof. Uffmann, NZA 2018, S. 265 (267)) bezeichnen. Jedoch bemerken wir bei unseren IT-Freelancern nur einen vernachlässigbaren Trend zur Einstellung. Ausnahmefälle tauchen in erster Linie mit dem Argument spannender und innovativer Projekte auf. Vor dem Aspekt der Scheinselbständigkeitsdiskussion sehen wir diesen Schritt jedoch kritisch.
** So sieht es auch das LSG Baden-Württemberg in seinem Beschluss vom 10.06.2016, Az. L 4 R 3072/15 (juris Rn. 78) und führt aus „eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation besteht auch nicht bereits dann, wenn sich der Auftragnehmer mit dem Auftraggeber wegen der Durchführung des Auftrags abstimmen muss.“ Ähnlich auch LSG Baden-Württemberg, Urteil von 18.01.2018, Az. L 7 R 850/17, juris Rn. 100 „Absprachebedarf ist nicht identisch mit Direktionsrecht“.
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15 Kommentare
Das Projekt muss in Puncto Spannung/Innovation schon auf dem Niveau eines Nobelpreiskandidaten oder einer Mars-Mission sein, damit man freiwillig in die unattraktive Arbeitnehmerüberlassung geht. Nur leider beißt sich da die Katze in den Schwanz: Wenn ein Auftraggeber auf ANÜ besteht, heißt das für seine Innovationsfähigkeit überhaupt nichts Gutes.
Das Projekt muss in Puncto Spannung/Innovation schon auf dem Niveau eines Nobelpreiskandidaten oder einer Mars-Mission sein, damit man freiwillig in die unattraktive Arbeitnehmerüberlassung geht. Nur leider beißt sich da die Katze in den Schwanz: Wenn ein Auftraggeber auf ANÜ besteht, heißt das für seine Innovationsfähigkeit überhaupt nichts Gutes.
Ich habe mit Erstaunen die Berichte gelesen und muss dazu sagen, dass ich die Aussagen von Herrn Sauer (Vorstand Götzfried AG) in den Berichten NICHT bestätigen kann, da ich einer der Freelancer bin, der schon seit Jahren über das Arbeitnehmerüberlassungskonstrukt zufriedenstellend arbeitet! Ihre Aussage, Herr Sauer, und die Erfahrung Ihres Geschäftsführer-Kollegen, dass die Bereitschaft der Freelancer in die ANÜ zu wechseln bei 1:200 liegt, ist lediglich falsch. Denn allein bei meinem derzeitigen Einsatz (Position: Projektleiter im Infrastrukturbereich) sind (mit mir inklusive) über 1000 IT-Freelancer in der Arbeitnehmerüberlassung im Einsatz. Daher ist Ihre Prognose nicht korrekt und widersprüchlich. Ich kann von meinen Erfahrungen her berichten, dass aufgrund des Gesamtpakets, die partnerschaftliche Betreuung und attraktiven Konditionen ich mir kein attraktiveres Geschäftsmodell mehr vorstellen kann. Und da bin ich nicht der Einzige in meinen Freelancing Umfeld. Ich habe schon einige Projektangebote von diversen Dienstleistern erhalten. Der Grund, warum mich der ein oder andere Personaler nicht von dem Projekt überzeugt hat, war lediglich eine inkompetente Betreuung des Dienstleisters, weil man nicht auf die „Bedürfnisse“ und Interessen eines Freelancers eingegangen ist und weil man nicht die gleiche Sprache des Freelancers gesprochen hat, um Diesen für das Projekt und die Vertragsform zu begeistern.
Das sind meine Erfahrungen, die auch viele weitere Freelancer aus meinen Umfeld gemacht haben.
Ich habe mit Erstaunen die Berichte gelesen und muss dazu sagen, dass ich die Aussagen von Herrn Sauer (Vorstand Götzfried AG) in den Berichten NICHT bestätigen kann, da ich einer der Freelancer bin, der schon seit Jahren über das Arbeitnehmerüberlassungskonstrukt zufriedenstellend arbeitet! Ihre Aussage, Herr Sauer, und die Erfahrung Ihres Geschäftsführer-Kollegen, dass die Bereitschaft der Freelancer in die ANÜ zu wechseln bei 1:200 liegt, ist lediglich falsch. Denn allein bei meinem derzeitigen Einsatz (Position: Projektleiter im Infrastrukturbereich) sind (mit mir inklusive) über 1000 IT-Freelancer in der Arbeitnehmerüberlassung im Einsatz. Daher ist Ihre Prognose nicht korrekt und widersprüchlich. Ich kann von meinen Erfahrungen her berichten, dass aufgrund des Gesamtpakets, die partnerschaftliche Betreuung und attraktiven Konditionen ich mir kein attraktiveres Geschäftsmodell mehr vorstellen kann. Und da bin ich nicht der Einzige in meinen Freelancing Umfeld. Ich habe schon einige Projektangebote von diversen Dienstleistern erhalten. Der Grund, warum mich der ein oder andere Personaler nicht von dem Projekt überzeugt hat, war lediglich eine inkompetente Betreuung des Dienstleisters, weil man nicht auf die „Bedürfnisse“ und Interessen eines Freelancers eingegangen ist und weil man nicht die gleiche Sprache des Freelancers gesprochen hat, um Diesen für das Projekt und die Vertragsform zu begeistern.
Das sind meine Erfahrungen, die auch viele weitere Freelancer aus meinen Umfeld gemacht haben.
ANÜ ist das Gegenteil von Projektarbeit oder Prozess- und IT-Beratung durch einen selbständigen IT-Freiberufler.
Sollte es in D irgendwann einmal unmöglich sein, Dank Frau Nahles und dieser unternehmerfeindlichen SPD, als selbständiger IT-Freiberufler tätig zu sein, dann werde ich nach Aufträgen in NL, A oder CH schauen !!
ANÜ ist das Gegenteil von Projektarbeit oder Prozess- und IT-Beratung durch einen selbständigen IT-Freiberufler.
Sollte es in D irgendwann einmal unmöglich sein, Dank Frau Nahles und dieser unternehmerfeindlichen SPD, als selbständiger IT-Freiberufler tätig zu sein, dann werde ich nach Aufträgen in NL, A oder CH schauen !!
Ich verstehe das Problem hier nicht.
Ich kann das Geheule nicht mehr hören. Fakt ist, es gibt gut bezahlte Projekt als Freelancer oder als ANÜ. Interessant ist nur über welche Agentur man es macht. Weshalb soll daher ANÜ ein Problem für mich darstellen. Ich war schon in Projekten über befristete Anstellungen und konnte mich ohne Kopfschmerzen frei beim Kunden bewegen, habe an Meetings teilgenommen, habe mich frei sowohl mit internen als auch mit externen Mitarbeitern austauschen können und Fortbildungen habe ich auch finanziert bekommen, deren Kosten ich als Freelancer selbst tragen muss. Mir ist das doch Jacke wie Hose, solange das Gesamtpaket lukrativ für mich ist und ich keinen Verlust verspüre.
Schon lustig Herr C. Müller, dass Sie Projekte in der CH annehmen möchten, weil wir in Deutschland die ANÜ immer mehr als Projektinstrument haben. Hätten Sie sich mit dem Thema beschäftigt, hätten Sie gewusst, dass es in der CH defacto keine Freelancer gibt. Dort sind Spezialisten über die Personalüberführung in den Projekten oder im Rahmen eines Projektauftrages angestellt.
Einen gut gemeinten Rat meinerseits: Informieren Sie sich erst ausführlich.
Vielen Dank Herr Kirschner. Das habe ich von den entsprechenden Agenturen auch immer so mitgeteilt bekommen. Kennen Sie zufällig einen einschlägigen Fachartikel zu diesem Thema?
Schon lustig Herr C. Müller, dass Sie Projekte in der CH annehmen möchten, weil wir in Deutschland die ANÜ immer mehr als Projektinstrument haben. Hätten Sie sich mit dem Thema beschäftigt, hätten Sie gewusst, dass es in der CH defacto keine Freelancer gibt. Dort sind Spezialisten über die Personalüberführung in den Projekten oder im Rahmen eines Projektauftrages angestellt.
Einen gut gemeinten Rat meinerseits: Informieren Sie sich erst ausführlich.
Vielen Dank Herr Kirschner. Das habe ich von den entsprechenden Agenturen auch immer so mitgeteilt bekommen. Kennen Sie zufällig einen einschlägigen Fachartikel zu diesem Thema?
Aus meiner Sicht und Erfahrung (ich habe mich kurzfristig in eine ANÜ Positon locken lassen) nützt dieses Modell nur der Bereicherung der sogenennten Vermittler. Nach Erfüllung und Übergabe des Projekts bin ich direkt wieder in die Selbstständigkeit gewechselt, Konditionen und Flexibilität der Arbeitszeitgestaltung sind für mich wichtigstes Kriterium.
Nebenbei: Als Freelancer ist der Fluchtreflex um so ausgeprägter, je unflexibeler die Arbeitszeitverordnungen werden. Und mit diesen wird man dann von 2 Seiten konfrontiert: Einerseits von der des Unternehmens und andererseits denen des Vermittlers.
Anstatt die Flexibilität, Kreativität und Begeisterung der Freelancer zu pushen ist die ANÜ ein absoluter Bremsklotz für jedes Engagement. Absolutes No-Go.
@Tom: Danke für Deinen Kommentar. Zusammenfassend kann man wohl sagen: ANÜ ist eben v.a. Angestelltenverhältnis.
Aus meiner Sicht und Erfahrung (ich habe mich kurzfristig in eine ANÜ Positon locken lassen) nützt dieses Modell nur der Bereicherung der sogenennten Vermittler. Nach Erfüllung und Übergabe des Projekts bin ich direkt wieder in die Selbstständigkeit gewechselt, Konditionen und Flexibilität der Arbeitszeitgestaltung sind für mich wichtigstes Kriterium.
Nebenbei: Als Freelancer ist der Fluchtreflex um so ausgeprägter, je unflexibeler die Arbeitszeitverordnungen werden. Und mit diesen wird man dann von 2 Seiten konfrontiert: Einerseits von der des Unternehmens und andererseits denen des Vermittlers.
Anstatt die Flexibilität, Kreativität und Begeisterung der Freelancer zu pushen ist die ANÜ ein absoluter Bremsklotz für jedes Engagement. Absolutes No-Go.
@Tom: Danke für Deinen Kommentar. Zusammenfassend kann man wohl sagen: ANÜ ist eben v.a. Angestelltenverhältnis.